32. Trudd heiratet.

Ein Bauernbursche von Oberstdorf wurde des Nachts so oftmals "vom Schratt" geplagt und gedrückt, daß er es fast nicht mehr aushalten konnte und darob ganz abmagerte und krank wurde. Obwohl man doch alles verschlossen hielt, selbst das Schlüsselloch, so kam "der Schratt" doch immer wieder, und so suchte man zuletzt das ganze Schlafzimmer genau aus, um zu erfahren, wo er denn immer hereinkommen könne. Richtig fand man in der Wand ein unverschlossenes "Nebarloch" (Bohrloch). Da riet man dem Burschen, er solle, sobald er wieder nachts etwas kommen merke, schnell ein Kissen ins Zimmer hinauswerfen und dann schnell ein Zäpflein in das Loch stecken, daß der Schratt nicht mehr hinaus könne und gefangen sei. Der Schratt kann nämlich, wie die Hexen, immer nur da hinaus, wo er hereingekommen ist. Der Bursch machte es so, als er wieder was merkte vom Schratt, und siehe da, am Morgen fand man in dem Zimmer auf dem Kissen ein junges und ganz hübsches Frauenzimmer sitzen, die nicht Rede stehen konnte oder wollte, wer sie sei und woher sie gekommen. Da sie ganz landfremd war und nicht wußte, wohin, sonst aber gar nicht unrecht zu sein schien, so behielt man sie gleich als Magd im Hause. Sie erwies sich als fleißig und brav, und so gefiel sie den Leuten immer besser, vorab dem Sohne des Hauses, der sie "dackermentsche zuletzt gar noch heiratete". Sie lebten beide gut und glücklich zusammen; denn sie war ein gutes Weib, nur daß sie immer heimlichem Gram anzuhängen schien und oft "mißvergnügt" war. Da fragte sie der Mann einmal, welch geheimer Kummer sie denn drücke, es müsse ihr offenbar etwas fehlen, und da erklärte das Weib, wenn sie nur doch auch wüßte, woher sie denn wäre und wie sie eigentlich in das Haus gekommen sei, und jammerte halt dem Manne lange vor. Da führte er sie in sein früheres Schlafzimmer und zu der Wand hin und sprach: "Sieh, da herein bist du gekommen!" und zog das Zäpflein heraus. Kaum aber war das Nebarloch frei, so verschwand augenblicklich das Weib, das nun wieder durch das Loch hinaus entkommen war. Der Bauer aber hatte nun das Nachsehen.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 32, S. 37 - 38.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.