78. Der Scheidbachmann im Vilstal.

Im Vilstal bei Pfronten ließ sich ehedem in der Nähe des Scheidbaches an den Gehängen gegen Jungholz zu oft der "Scheidbachmann" hören. Er sohlte und jauchzte, daß man es weithin vernahm, und wenn man ihm dann angab, war er fast augenblicklich zur Stelle und verfolgte die Vorlauten auf weite Strecken, dabei laut brüllend und johlend, oder er brachte sie vom Wege ab und jämmerlich in die Irre. Einmal hatte ihm einer, den der Übermut plagte, zugejohlt. Sogleich kam ein großmächtiger Mann mit gar abschreckender Gestalt daher und ganz nahe auf ihn zu, worüber der Mann so erschrak, daß er später oft beteuerte, in seinem Leben möchte er es nicht mehr wagen den Scheidbachmann zu reizen, soviel Angst habe er damals ausgestanden.

Ein andermal geschah es, daß mehrere Buben, die in der Nähe des Scheidbaches im Holz gearbeitet hatten und die abends in einer Heuhütte zum Übernachten beisammen waren, ebenfalls Juche! schreien hörten. Die Buben, wie sie eben sind, antworteten sogleich mit einem Juchezer. Da aber rappelt's plötzlich über ihren Köpfen, als wenn ein Haufen Steine über das Dach ausgeschüttet würde. Jetzt sind die drinnen in der Hütte freilich nicht wenig erschrocken und haben kein Wörtlein gesagt, sondern sind mäusleinstill geblieben. Da ruft der wilde Mann von außen: "Gebt mir nur ein Härlein heraus von eurem Haar, so habe ich euch samt und sonders." Ihr könnt denken, daß sie das wohl haben bleiben lassen.

Am öftesten hatten die Jungholzer früher mit dem Scheidbachmann zu schaffen, wenn sie von Pfronten herkamen, voraus bei Nacht. Da geschah es oft, daß er den Leuten auf den Rücken oder auf das Genick sprang und sich eine Strecke weit tragen ließ, daß man sich an ihm fast zu Tode schleppen mußte. Wer darum früher durch das Vilstal mußte, nahm sich vor ihm in acht und ließ sich, wenn es nicht sein mußte, nicht in die Nacht ein.

Wenn es übel Wetter werden wollte, hörte man den "Alpgeist" gewöhnlich "hau! hau!" schreien, und dann hieß es, man hat den "Alpgeist" oder "Fallgeist" schreien hören, es wird schlecht Wetter.

Der Geist soll einmal an einem Fronleichnamstag sich bis in Pfronten gezeigt haben, wo ihn ein Hirte sah, wie er während der ganzen Prozession unter einem Kreuzstock eines Hauses saß, in dessen Nähe der Zug vorbei kam. Er habe "Knodestrümpfe", Holzschuhe und einen braunen Schoopen getragen und habe beständig mit den herunterhängenden Füßen geschlänkelt, bis er mit einemmal verschwunden war. "Das ist Wahrheit!"

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 78, S. 82 - 83.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.