54. Nächtlicher Bock in der Saldeineralphütte.

Im Saldeinerwald beim Eingang vom Lechtel [Lechtal] ins Schwarzwassertal hatten einmal noch spät im Herbst drei Männer zu tun, um Holz für die winterliche Schlittfahrt herzurichten, und begaben sich am Abend in die nahe Saldeineralphütte, um hier zu übernachten. Nachdem sie abgekocht und eine Zeitlang noch mit einander geplaudert hatten, begaben sie sich auf ihr Lager. Noch ehe sie jedoch recht eingeschlafen waren, sprang auf einmal die Türe auf, die sie doch mit dem Zapfen fest verschlossen hatten, und ein schwarzer Geißbock kam herein. Dieser schritt auf die Feuergrube zu, wo noch die letzte Glut vom abendlichen Feuer schwach glimmte, und blies da dreimal nacheinander fest hinein, daß die Funken so wild umherstoben, als sollte die ganze Hütte in Brand geraten. Dann legte er sich in eine Ecke. Die drei Männer, die das alles mit angesehen, waren so in Schrecken geraten, daß keiner mehr sich zu rühren traute und sie die Nacht in Angst und Ungewißheit wachend verbrachten.

Als endlich in der Früh von Forchach her über den Lech die Betglocke läutete, war wie mit einem Schlag der unheimliche Bock verschwunden. Wie sie nun darauf in der Hütte nachsahen, war alles in bester Ordnung, und auch die Tür war wieder verschlossen wie am Abend, so daß sie das Ganze für einen Traum hätten halten können, wenn nicht alle drei das nämliche gesehen hätten und jeder von der Wirklichkeit des Erlebten nicht so fest überzeugt gewesen wäre.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 54, S. 60 - 61.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.