290. Wie die Niederdorfer gegen einen Bären auszogen.

Einem Fuhrmann fiel einmal in der Nähe von Niederdorf eine wollene Pferdedecke vom Wagen und blieb an der Hecke neben dem Wege hängen. Da die Decke sehr langhaarig und zottig war und der Wind die herabhängenden Teile hin- und herbewegte, so glaubte ein altes Weib, das des Weges kam, es sei dies ein wildes Tier und lief schnell in das Dorf und meldete, es sei ein gewaltiger Bär draußen nahe der Straße am Acker und bedrohe die Vorübergehenden. Um allem Unheil zuvorzukommen, machte sich die gesamte Mannschaft des Dorfes auf das Ungetüm zu erlegen. Die Bauern erschienen mit Äxten, Sensen oder Flegeln, und die Schmiede kamen mit ganz gewaltigen Spießen und Eisenstangen daher, und rüstig und kuraschiert zogen sie hinaus. Schon von ferne erblickten sie das Untier, das auf seinem Platze verharrend ihren Angriff abzuwarten schien.

Die Niederdorfer schritten aber mutig darauf los; doch o weh, als sie nahe kamen, bemerkten sie, daß der vermeintliche Bär nur eine Roßblahe war, und kleinlaut zog die bewaffnete Schar heim. Die Geschichte wurde aber doch verlaut, und seitdem lachte man und nennt die Niederdorfer die "Bäarefanger".


Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 290, S. 299.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.