139. Lichtgeist erlöst.
1.

Zwischen Enenhofen und Geisenhofen bei Oberdorf sah man ehedem in dunkler Nacht häufig ein Licht in den Lüften dahinschweben, das von Enenhofen in der Richtung gegen Geisenhofen sich bewegte, dann der Wertach entlang aufwärts bis gegen Hattenhofen und hernach über den Kellerberg. Zuletzt blieb es jedesmal senkrecht über einem Birnbaum stehen. So hatte man es unzähligemal gesehen, und niemand wußte, was es zu bedeuten habe. Da geschah es einmal, daß ein Bauer von Heimenhofen des Nachts spät vom Nesselwanger Markt heimkehrte. Als er bei einer Loach bei Geisenhofen vorbeiging, gesellte sich ihm auf einmal das Licht bei und bewegte sich vor ihm hin bis zu seinem Hause in Heimenhofen, ihm solcherweise in der Dunkelheit genau den Weg weisend. Bei dem Hause blieb es auf einer Hagsäule schweben. Da sprach der Bauer zum Licht: "Vergelts Gott tausendmal, du hast mir prächtig heimgeleuchtet!" Da verwandelte sich das Licht in eine helle Gestalt, und die sprach: "Ich danke dir auch, denn du hast mich nun erlöst; ich habe schon so vielen geleuchtet, aber niemand hat mir noch dafür gedankt. Jetzt aber bin ich erlöst." Sprach's und verschwand, und seitdem hat man das Geisterlicht nie mehr gesehen.

2.

Wenn eine Näherin von Sulzberg bei Scheidegg mit ihrem Lehrmädchen vor etwa 80 bis 90 Jahren des Abends von der Stör heimkehrte, mußte sie öfters durch einen Wald. Hier erschien dann jedesmal ein Licht, schwebte vor den beiden her und erhellte ihnen so den Weg. Dem Mädchen war strengstens verboten worden etwas zu sprechen, sobald das Licht erscheine; aber einmal konnte es sich doch nicht zurückhalten, und so rief es dem Lichte, als es ihnen wieder hindurchgeleuchtet hatte, für den erwiesenen Dienst ein Vergelts Gott zu. Da sprach der Geist zu der Näherin: "Wie lange habe ich dir schon gezündet, und nie hast du mir Vergelts Gott dafür gesagt, auf das ich schon so lange warten muß! - Nun bin ich endlich erlöst!" Zum Lehrmädchen aber sprach der Geist weiter: "Reiche mir deinen Ellenstab her, daß ich dir danken kann!" Das Mädchen tat es, und da sah man hernach in dem Stab deutlich die Form von Fingern eingebrannt. Das Licht aber ist von der Stunde an nie mehr gesehen worden.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 139, S. 140 - 141.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.