79. Der Haurewaser bei Neuried.

In dem Walde zwischen Neuried, Umwangs und Münzenried bei Aitrang, wo man es auf eine Strecke "im Hauren" heißt, spukte früher der "Haurewaser". Er hatte seine Freude daran, die Leute, die hier durchgingen irre zu führen, warf ihnen oft von den Bäumen herab, auf denen er sich viel aufhielt, Tannenzapfen oder Äste nach, oder er sprang ihnen gar auf den Rücken, daß sie sich dann an ihm fast zu Tode tragen und abschleppen mußten. Manchmal ließ er sich durch wildes Jauchzen und Johlen oder Schreien hören, und zuweilen sah man Lichter hin- und herschweben oder ein großes Feuer brennen. Wenn man dann aber hernach auf der Stelle nachsah, konnte man nie Brandspuren, Asche oder Kohlen entdecken, und so ist alles nur Blendwerk gewesen. Auch das Vieh, das in der Nähe weidete, wurde vom Haurewaser oft beunruhigt und verjagt, daß die Hirten manchmal ihre schwere Not damit hatten. Kam ein Fuhrwerk in die Nähe, so merkten ihn immer die Rosse am ehesten und waren dann gewöhnlich keinen Schritt mehr weiter zu bringen, oder auch umgekehrt, sie sprangen davon.

Als einmal ein Geiger, der bis spät in die Nacht im Wirtshause aufgespielt hatte, gegen Münzenried zu heimwärts ging, kam plötzlich eine wohlbespannte Chaise an ihm vorbei. Da er schätzwohl beim Wirt etwas tief ins Glas geschaut hatte und übermütig war, und da das Gefährte den nämlichen Weg fuhr, den er zu gehen hatte, so wollte er das benützen und setzte sich hinten auf das Trittbrett um schneller und leichter fortzukommen. Kaum saß er aber, so erhob sich das Gefährte mit ihm in die Höhe und fuhr zu seinem Entsetzen in den Lüften dahin. Da ward dem armen Geiger gar bang zu Mute; denn er sah nun klar genug, daß es da nicht mit rechten Dingen mehr zugehe. In seiner Not nahm er die Geige vom Rücken und fing an den "Heiligen Geist" zu geigen. Da warf es ihn sogleich auf die Erde herab, jedoch ohne daß er Schaden gelitten hätte. Er dankte Gott, daß er diesmal so gut weggekommen war, spielte aber künftig die Geige lieber in der Kirche beim Amt als im Wirtshaus zum Tanz.

Im Hauren soll in alten Zeiten ein Schloß gestanden haben, das "Nebenried" hieß, und noch jetzt findet man an einer Stelle zuweilen Ziegelsteine, wenn auch die Mauern verschwunden sind. Auch ein Schatz soll da noch verborgen sein, und so haben schon einige geglaubt, der Haurewaser habe diesen Schatz hüten müssen. Einst fingen einige Neurieder auch zu graben an. Als sie aber schon fast auf der Kiste waren, glaubten sie alle, ganz Neuried stehe plötzlich in Flammen, und nun wollten sie zum Löschen eilen und liefen davon. Sobald sie aber zum Dorfe kamen, bemerkten sie, daß alles nichts und nur Blendwerk gewesen. Wie sie zum Schatz wieder zurückkamen, war er in die Tiefe versunken.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 79, S. 83 - 85.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.