10. Die "Säligen Fräulein" am Gachtberg.

In den Nischen und Höhlungen der Schrofen, die sich neben der Straße zwischen Höfen und Weißenbach senkrecht erheben, hielten sich ehedem "sälige Fräulein" auf, und noch heute nennt man die Stelle das Hexenplätzle, wo ihr Schloß gestanden haben soll. Man sah die Fräulein öfters kochen, aber auch tanzen und springen, und dann konnte man gewöhnlich auch lieblichen Gesang und schöne Musik vernehmen. Nicht selten gesellten sie sich zu den Hirten und waren überhaupt gegen die Leute wohlgesinnt. Einmal schenkte ein solches Fräulein einer Lechtalerin für einen erwiesenen Dienst ein Schächtelchen, aus dem ein Zwirnfaden herausragte. Daran dürfe sie nur ziehen, so oft und viel sie wolle; der Zwirn werde nie ausgehen und sie ihr Lebtag Faden genug haben. Nur dürfe sie das Büchslein nie aufmachen. Solange die Frau dieses Verbot beobachtete, hatte sie Zwirn im Überfluß und konnte verbrauchen, soviel sie wollte. Als sie aber nach Jahr und Tag doch einmal die Neugierde plagte und sie das Büchslein aufmachte, ging der Faden aus, und sie hatte sich so ihr Glück verscherzt.

Einmal kam ein Bauer von Höfen mit seinem Ochsengespann an der Stelle vorbei. Da befand sich eine "Sälige" in der Nähe und rief: "Jochtrager, sag der Stuzze Maruzze, Schalingge sei gestorben!" Der Bauer kannte zwar niemand dieses Namens, aber doch erzählte er zu Hause diesen wunderlichen Auftrag. Da fing seine Magd, die zugehört hatte, an zu weinen und zu jammern und sagte, nun müsse sie heim, und verließ den Dienst zur Stunde. Dem Bauern war das sehr leid, denn die Magd, die schätzwohl zu den säligen Fräulein gehört hatte, war überaus fleißig und brav gewesen.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 10, S. 18 - 19.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.