DIE ENTSTEHUNG DES MONDSEES

An einer Stelle des Mondsees in Oberösterreich ist eine Stange im Wasser befestigt. Hier stand vor grauen Jahren eine Burg auf einem kleinen Hügel und da, wo der See sein Wasser ausbreitet, waren die herrlichsten Äcker und Wiesen. Der Burgherr und seine Frau waren sehr fromm und ihre milde Hand spendete viele Wohltaten. Bald bauten sich mehrere um den Burghügel an und nach und nach entstand eine Ortschaft, in deren Mitte sich auch eine Kirche erhob, in welcher besonders die heilige Maria verehrt wurde. Aber nicht immer sollte diese Ortschaft bestehen. - Der letzte Besitzer der Burg war seiner Ahnen unwert, er war gerade das Gegenteil von ihnen. So fromm und gottesfürchtig diese waren, in dem Grade war er gottlos und nichts war ihm mehr heilig. Da er mächtig war, griff er die benachbarten Ritter an, plünderte ihre Burgen und gab sie den Flammen preis. Doch die Gerechtigkeit Gottes erreichte ihn. Einst erschien die heilige Mutter dem Priester des Ortes im Traum und hieß ihn die Bewohner auffordern, diesen Ort zu verlassen, denn schwer ruhe der Zorn Gottes über demselben. Des anderen Tages tat der Priester, wie es ihm von der heiligen Jungfrau befohlen war. Er rief die Leute zusammen, erzählte ihnen seinen Traum und forderte sie auf, diesen Ort zu verlassen. Sogleich waren alle dazu bereit, sie nahmen ihre Habseligkeiten und zogen fort, bis sie in die Gegend kamen, wo heutzutage der Markt Mondsee steht. Da ließen sie sich nieder. Der Ritter sah den Zug von seiner Burg, lachte darüber und nannte sie alberne, furchtsame Leute und brachte den ganzen Tag schwelgend mit seinen Gesellen zu. Da zog sich abends ein schreckliches Gewitter zusammen. Es war immer heftiger und bald stand es über der Burg. Doch ihre Bewohner ließen sich nicht stören. Da durchfuhr ein fürchterlicher Blitz die Lüfte und zündete die Burg an. Donner auf Donner folgte und unter furchtbarem Beben der Erde begann die Burg mit ihrer Umgebung zu sinken und augenblicklich füllte sich das Tal mit Wasser, das aus den Spalten der Erde hervorquoll, so daß der Ritter und alle seine Gesellen in den Fluten umkamen. Der entstandene See wurde wegen seiner Halbmondform "Mondsee" genannt. Bei anhaltend trockenem Wetter, wenn der Wasserspiegel niederer ist, will man die Spitzen des Kirchturms gesehen haben.

(Nach der mündlichen Erzählung eines Schiffers aus Mondsee)

Ähnliches wird vom Attersee erzählt. Das wüste Leben eines Burgherrn soll Veranlassung gewesen sein, daß das fruchtbare Land von einem kleinen Weiher aus überschwemmt wurde.

Quelle: Theodor Vernaleken, Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858