Die seltsamen und gefährlichen Felsen im slowakischen Fluss Váh (Waag):
Margita a Besná (Margit und die Wütende)

Unter der Burgruine Strečno in der Nähe der Stadt Žilina fließt der Fluss Waag (der längste Fluss der Slowakei) besonders heftig. Einst befanden sich hier direkt im Strom zwei mächtige gefährliche Felsen, die besonders den Flößern große Angst und viele Sorgen bereiteten. Der eine Fels ragt senkrecht aus dem Strom heraus, dieser hieß Besná (die Wütende) und ein Stück weiter zog sich eine Reihe von Felsen quer durch die Waag, die man Margita nannte. Die ganze gefährliche Stelle in der Waag ist seit alters her als Margita a Besná bekannt; mit ihr ist eine interessante Sage verbunden.

Burgruine Strečno, Slowakei

Burgruine Strečno (slowakisch Strečniansky hrad) auf einem hohen Felsen oberhalb des Flusses Waag.
Quelle: Malerische Reise auf dem Waagflusse in Ungern: Mit zwölf Ansichten.
Mednyánszky, Alajos, Hartleben, Konrad Adolf, Strauß, Anton.
Verlag: Conrad Adolph Hartleben: Gedruckt bey Anton Strauss Ort: Pest, [Wien], Budapest, 1826

In der alten Zeit wohnte in der Gegend ein reicher, betagter Landmann, der den Mut hatte, eine junge Dirn als Braut heimzuführen. Bald musste er seinen Schritt bereuen. Seine Tochter Margita war das reizendste Mädchen im Dorf, alle lobten ihre Schönheit und ihr sittliches Verhalten; doch ihre Stiefmutter spürte tiefen Hass gegen sie. Mit nichts konnte Margita ihr gefällig sein, wiewohl sie alle Wünsche der Stiefmutter in demütiger Unterwerfung erfüllte.

Doch Margitas Leben verlief nicht ganz farbenlos. Das Leben sollte eines Sternes milder Glanz vergolden. Ihre Schönheit hatte solchen Eindruck auf einen der besten Jünglinge des Dorfes gemacht, dass er sich als Knecht bei ihrem Vater anstellte. Bald verliebte sich auch Margita in ihn. Nun trug Marita noch williger die Last des Tages und sie vergaß dabei beinahe die lieblose Behandlung ihrer Stiefmutter. Doch es sollte nicht lange dauern. Des Jünglings Wohlgestalt hatte im Herzen der Mutter solchen Eindruck gemacht, dass sie ihres Verhältnisses nicht achtend, alle Künste aufwandte, um auch in seinem Herzen die Liebe zu erwecken. Doch zu tief war Margitas Bild im Herzen des Jünglings eingeprägt. Er floh vor der Stiefmutter, er wich ihr aus, wie er nur konnte. Lange Zeit hielt diese sich in Selbsttäuschung hin, bis sie endlich erkannte, dass sie wegen der gehassten Margita verschmäht sei. In aufgeregter Wut strich sie umher, ihr schwanden die Sinne, nur eines blieb ihr, die Gier nach einer Rache!

Eines Tages gebot sie der Unglücklichen herrisch, für sie einen Brief an eine entfernte Verwandte in der Thurocz abzugeben. Margita, den stillen Gehorsam gewohnt, begab sich ohne Widerrede auf den Weg. Aber auf Seitenwegen eilte die Wütende ihr nach. Endlich erreichte sie das Mädchen gerade, als dieses an den Felsen vorüberging. Mit wildem Geschrei stürzte die Stiefmutter auf Margita zu, riss sie zu Boden und ohne ihr flehendes Bitten zu erhören, schleppte sie sie unter grässlichen Flüchen zum Abgrund und schleuderte sie hohnlachend in die Fluten der Waag. Es geschah an der Stelle, wo „der wütende Fels“ die zürnenden Wellen rückwärts drängt. Kaum war die Untat vollbracht, erwachte ihr Gewissen. Aus der Tiefe hallte von überall her Margitas Namen entgegen, sie floh durch Wälder und Einöden, doch überall sah sie die Unglückliche mit fliegenden Locken in die Fluten stürzen.

Indessen hatten die Wogen den Leichnam von Margita an die Felszacken geführt, welche seitdem ihren Namen tragen. Dort sahen ihn vorübergehende Landleute und zogen ihn mitleidig heraus und übergaben ihn dem trauernden Vater.

Der Fluss Waag bei der Burgruine Strečno (slowakisch Strečniansky hrad)
Quelle: Malerische Reise auf dem Waagflusse in Ungern: Mit zwölf Ansichten.
Mednyánszky, Alajos, Hartleben, Konrad Adolf, Strauß, Anton.
Verlag: Conrad Adolph Hartleben: Gedruckt bey Anton Strauss Ort: Pest, [Wien], Budapest, 1826

Als das Dorf trauernd um Margitas Bahre stand, erhoben sich die Jünglinge des Dorfes durch ihres Kameraden Erzählung, dem der schreckliche Zusammenhang plötzlich klar wurde, zur Wut gestachelt, um die Mörderin zu suchen. Sie sahen sie mit aufgelöstem Haar in den Feldern herumlaufen, beständig Margitas Namen rufend. Mit dem Vorsatz nach Rache eilten die Jünglinge ihr nach, aber sie entkam ihnen zu eben dem Felsen, wo ihr Opfer gefallen. Sie stürzte sich kreischend in den Abgrund. Dieser Fels wird seitdem Besná (die Wütende) genannt.

Bearbeitet nach der Sage: Der Margittefelsen in der Waag von Jana Judinyová. Diese Sage wurde im Jahr 1876 vom bedeutenden slowakischen Dichter Ján Botto (1828, Vyšný Skálnik – 1881, Banská Bystrica) verdichtet. So entstand eine einmalige reizvolle gereimte Sage, die zu den Schätzen der slowakischen Literatur gehört. Die Felsen Margita und Besná befanden sich bis etwa 1937-1938 im Fluss Waag unter der Burgruine Strečno (in der Nordslowakei). Heute bestehen sie nicht mehr, sie wurden in den genannten Jahren beim Bau des zweiten Eisenbahngleises durch den Bergpass von Strečno abgeschossen und wurden angeblich beim Bau eines Tunnels in der Umgebung benutzt; die Burgruine von Strečno steht über der Waag in einem gut erhaltenen Zustand.
Quelle: Erzählungen, Sagen und Legenden aus Ungarns Vorzeit von Alois Freiherrn von Mednyánzsky. Pesth, herausgegeben bei Konrad Adolph Hartleben, 1828, S. 249-253.