Die Ratte am Zytturm
Der Zytturm war der Hauptturm der alten Kyburgerstadt Zug und überragte
bei weitem die andern Türme der städtischen Befestigungsanlage.
Er diente auch als günstiger Auslug zum Schutze vor drohenden Brandgefahren.
Wenn in stürmischen Föhnnächten der wilde Wind über
den See brauste und die kleinen Windfähnchen auf dem Turme ächzend
und knarrend emsig sich drehten, saßen im Föhnwächterstübchen
auf dem Zytturm die treuen Wächter und spähten in das nächtliche
Schwarz hinaus. Sie hielten das Feuerhorn griffbereit, um beim ersten
Feuerschein die Bürger zu wecken und aufzubieten. Eine arge Plage
machte sich aber bei den Wächtern gar unlieb bemerkbar. Überall
huschten dicke, langschwänzige Ratten herum und oftmals fraßen
die eckligen Gesellen den Wächtern das währschafte Znünibrot
weg. Kein Mittel wollte helfen, um diese lästigen Turmgäste
zu vertreiben. Da kam eines Tages ein fremder Scholar mit einem mageren
Bücherränzlein auf seiner Fahrt an die Hohe Schule von Salerno
nach Zug. Beim Abendschoppen auf der Zunftherberge hörte er von der
lästigen Plage und gab dem klagenden Föhnwächter den klugen
Rat, eine große, feiste Ratte an den Turm zu malen und zwar an der
Stelle, wo sie jeweils in das Wächterstübchen hineinkletterten.
Gesagt, getan. Der Wächter malte mit seinen Kumpanen schon am folgenden
Morgen eine schwarze Riesenratte neben den Steinsims, der rings um den
Turm ging. Und als die lästigen Ratten wieder kamen, sahen sie ihr
schwarzes Abbild, schnupperten daran herum und flugs kehrten sie dem fremden
Genossen den Rücken und flohen in hastigen Sprüngen davon. Der
Rat des fahrenden Schülers war gut gewesen und der Turm war von der
Rattenplage befreit. Seither sieht man an dem Zytturm von Zug beim Föhnwächterstübchen
eine schwarze Ratte hingemalt.
Quelle: Hans Koch, Zuger Sagen und Legenden, Zug 1955, S. 92