Die Frau im Äsch
Als die schwarze Pest im Zugerland wütete und unzählige Opfer
ins frühe Grab zwang, läutete im Walchwilerdorf alltäglich
die Totenglocke und verkündete das Hinscheiden eines Dorfgenossen.
Es gab Häuser, aus denen man sogar fünf Opfer der furchtbaren
Landesplage zum stillen Kirchhof tragen mußte. Die Leute wagten
sich fast nicht mehr aus den Häusern und mieden scheu jeglichen Verkehr
mit den Nachbarn. Auf einem der ältesten Walchwiler Heimwesen, im
Äsch, war der Tod auch eingekehrt und hatte alle Bewohner mit seiner
kalten Knochenhand niedergezwungen. Nur eine alte, gebrechliche Frau wurde
verschont. Diese hatte eine heillose Angst vor dem schrecklichen Totengast
und schloß sich in ihrem Hause in einer dunklen Kammer ein. Sie
gelobte, diese Kammer nicht mehr zu verlassen, bis das große Elendsterben
aufhören werde und nahm zu sich als Gast einen großen Ziegenbock.
Die landläufige Meinung ging im Volke umher, daß der Gestank
des Bockes die giftigen Pestschwaden, die durch die Lüfte ziehen
sollten, abwehren und vernichten könne. So behielt die Frau ihren
schützenden Bock in der Kammer und wenn von der Dorfkirche die Totenglocke
klang, bekreuzte sich die Frau und murmelte: "Wenns jetzo nur schiebte!"
Sie wünschte sich, daß das Elend der Pestilenz doch verschwinden
möchte. Und siehe da, nach einigen Tagen hörte man nichts mehr,
die Totenglocke blieb stumm und die Frau wagte sich mit ihrem stinkenden
Gesellen wieder außer Haus. In Ruhe und Frieden lebte die Frau noch
manches Jahr im Äsch und glaubte fest, daß der Ziegenbock sie
vor dem schwarzen Tod errettet habe.
Quelle: Hans Koch, Zuger Sagen und Legenden, Zug 1955, S. 90