SAGEN.at >> Traditionelle Sagen >> Schweiz >> Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni |
|
253. Ritter Tannhuser In der Ebene des Seeztales liegt der mit kurzen Eichen, Stechpalmen und anderm Gebüsch bewachsene Felsenhügel Tiergarten, wo vor der Reformation oft das Landgericht sich versammelte. Nach der Sage muß es da vor alter, grauer Zeit ganz anders ausgesehen haben als jetzt, wo die Eisenbahn unmittelbar am Hügel vorbeistreicht und rote Tonschieferplatten allenthalben auf demselben ausgebrochen werden. Es hausten hier vornehme Herrschaften, welche in überschwenglicher Pracht die ausgeartetsten Festgelage hielten und gottsträflichen Lüsten frönten. Zur Strafe dafür muss nun diese liederliche Sippschaft gar oft in gewissen Nächten ihr tolles Treiben auf dem Tiergarten wiederholen, und schon mancher, der bei einem solchen Anlasse hier vorüberwanderte, hat die schöne Musik gehört. In dieser alten Zeit kam auch der edle Ritter und Minnesänger Tannhuser zu jenen Herrschaften auf den Tiergarten-Hügel, welcher aber damals "Frau Vrenasberg" oder wohl Venusberg geheißen habe. Tannhuser ließ sich durch die Schmeicheleien der Damen und durch das flotte Leben verführen und blieb mehrere Jahre daselbst. Endlich bereute er solches bitterlich, wollte sich von dannen begeben und dem Papste seine Sünden bekennen. Ein besonderes Mißgeschick vermochte es aber, daß er die Absolution nicht erlangte und wieder auf den Venusberg ging, wo er nun bei seiner frühern Gesellschaft gebannt sein muss bis zum jüngsten Tage, wenn ihn nicht jemand erlöst. Derjenige, der ihn erlösen würde, könnte zum Lohne die um den Tiergarten gespannte goldene Kette und das auf dem Hügel verborgene goldene Kegelspiel in Empfang nehmen. Von Zeit zu Zeit steigt Tannhuser vom Hügel herab, um zu erfahren, ob er noch nicht baldige Erlösung zu hoffen habe. So kam der Ritter einmal auf seinem weißen Pferde zu einem Feldarbeiter in die naheliegende Plonser-Au und fragte diesen, wie spät es sei. Der Arbeiter nannte ihm die Stunde des Tages. Der Ritter wollte aber die Jahreszahl wissen und sprach, als jener sie ihm mitgeteilt: "Meine Zeit ist noch nicht da." Darauf bot er dem Arbeiter eine Prise aus einer großen, silbernen Dose, welche derselbe aber aus geheimer Furcht nicht annahm. Der Ritter sagte dann nur noch: "Eine so köstliche Prise, wie ich dir eine anbot, wird dir in der Zeit deines Lebens nicht mehr angetragen werden." Er verschwand. Ein andermal begab sich Tannhuser zu des Schneider "Melchen" Vater, welcher neben dem Tiergarten Streue aufmachte, und bat diesen dringend, mit ihm auf den Tiergartenkopf hinaufzukommen und ihm dort Hilfe zu leisten; Gefahr sei dabei keine vorhanden, der Lohn dagegen werde groß sein. Der Bauer aber blickte den in der vornehmen Tracht eines frühen Jahrhunderts gekleideten fremden Herrn scheu und mißtrauisch an und wies dessen Begehren rundweg ab. Hierauf sprach der Fremde in seltsam wehmütigem Tone: "Nun muß ich wieder lange warten, bis mir jemand helfen kann. Wenn die Nuß, die heute zur Erde fällt, zu einem schlagfähigen Baume aufgewachsen und aus einem Teile desselben eine Wiege verfertigt sein wird, kann erst das Kind, das darin liegt, mir helfen, wenn es will," und als der Ritter dieses gesagt hatte, konnte der Bauer nichts mehr von ihm wahrnehmen. Zur Erinnerung an Tannhuser wurde bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts in den umliegenden Ortschaften folgendes Tannhuser- oder "Tiergätslied" gar oft gesungen, das die alte Witwe F. I. in M. uns überliefert:
*** Natsch spricht die Vermutung aus, der Minnesänger Tannhäuser möchte ein Chur-Rätier gewesen sein, da sein Sagenkreis im Sarganserland so fest gewurzelt war und so viele Ranken getrieben. Er glaubt sogar, der im Oberland heimische Familienname Danuser möchte auf ihn zurückzuführen sein. Hierin aber irrt er wohl. Immerhin legt die Sage Zeugnis ab von der außerordentlichen Sagenkräftigkeit dieser Gegend. Die Tannhäuser-Sage ist übrigens weit älter als der Minnesänger. Frau Venus im Venusberge ist niemand anders als die germanische Göttermutter Freya. Die Abweisung des Beichtenden soll durch Papst Urban IV. (1261-64) geschehen sein, weswegen diesem Papste der Himmel verschlossen bleibe. Der Tann-Häuser ist ein Urtypus eines echten, alten Sagenstoffes, der unzählige Bearbeitungen erfahren hat und darum nicht mehr in seine einzelnen Bestandteile zerlegt werden kann. Pfarrer Stalder in Escholzmatt überliefert das Tannhäuserlied, wie es im Entlebuch gesungen worden. Natsch hat es ebenfalls aufgezeichnet. Es lautet:
Ich verweise übrigens auf das Tannhäuser-Lied bei Uhland (Volkslieder 297), abgedruckt bei Arnim & Brentano (Wunderhorn I, 82). Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni,
St. Gallen 1903, Nr. 253, S. 129ff |