439. Das "Gfröre".

Im Toggenburg und Appenzellerlande herrscht auch jetzt noch bei manchen Leuten der Glaube, es gebe Männer, die können sich "gfören", d. h. ihren Leib gegen alle Schläge, selbst gegen solche mit einem Hebeisen, total unempfindlich machen bis auf eine kleine Stelle am Körper, die sich in der Regel unter der Nase oder unter der Achsel befinde. Mancher Raufbold ließ sich dann auch, um sich gefürchteter zu machen, vor einer ganzen Gesellschaft durchwalken, indem er den Schmerz verbiß und lachend zu noch stärkerem Drauflosdreschen aufforderte. So einer war der in der ganzen Gegend gefürchtete "Krummbachhämmel". Der hatte daheim vor seinem Haus einen fünfzentnerigen Stein liegen; den hob er alle Tage ein paarmal, um seine Kraft zu üben und sie auch zu zeigen, wenn jemand des Weges kam.

Schon manchen Starken hatte er zum Krüppel geschlagen, und niemand war mehr in der Gegend, der ihm irgendwie entgegenzutreten wagte; doch sollte auch er seinen Meister finden, Einst hatte er nämlich an einem Tanzsonntage in Wattwil, mit einem "Sidelenbein" bewaffnet, einen Saal geleert; nur ein Tiroler saß noch ruhig in der Ecke, Wie der "Hammel" auch auf ihn los will, spricht dieser: "Ich iß für mei Geld, laß mich in Ruh!" "Was sähst! Usse muest!" ruft "Hämmel" und will ihn packen. Aber wie der Blitz faßt ihn der Tiroler bei Gurgel und Hosenband, hebt ihn in die Höhe und wirft ihn zum Fenster hinaus. Die "Gfrörni" schützte ihn diesmal nicht; denn nach drei Tagen starb er infolge des Sturzes.
Alpenpost, 1871.

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 439, S. 258
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