187. Der Geiger auf dem Galgen

"Giger Hans-Jöri" ging spät abends über den Rhein, ins Lichtensteinische, wo er aufspielen sollte. Als er unter Balzers hinkam, dunkelte es schon tief. Unversehens wurde er da an der Straße von artig gekleideten Leuten beiseite gerufen und traf eine glänzende Gesellschaft. Man hieß ihn auf eine Bühne sitzen, wo er auserlesenes Essen und Trinken vorfand. Bloß bedeutete ihm ein Herr, er möge sich durch nichts beunruhigen lassen, auf nichts achten und namentlich keine Gesundheit trinken. Das fiel ihm zwar auf; aber er schwieg, spielte auf und ließ sich's schmecken. Es wurde toll und bunt getanzt. Aber niemand kümmerte sich um ihn, so daß er sich endlich doch langweilte. Der Mahnung vergessend, sagte er nach seiner Gewohnheit in sich hinein: "Gsundheit Hans! Gseg' ders Gott, Hans! Furcht der nüt, so gschieht der nüt."

Kaum über die Lippen, war alles verschwunden. Es ging gegen Morgen, und Giger Hans-Jöri fand sich auf dem Vaduzer Galgen sitzend, statt des silbernen Trinkbechers einen Kuhhuf in der Hand.
I. Nasch.

Nach dem Volksglauben fanden auf jenem Riet Hexentänze statt.

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 187, S. 88
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, Juni 2005.