Die goldenen Kohlen
Dem Altmüller bei der kleinen Stadt Zofingen im Kanton Aargau war eine alte Base gestorben. Als er die Nachricht hievon vernahm, erschrak er gar nicht so besonders. Die Base war gar geizig gewesen und hatte ihm bei Lebzeiten wenig Freundschaft bewiesen. Nun sie tot war, durfte er eine große Erbschaft von ihr erwarten. Daher wollte er nicht versäumen, sich so rasch als tunlich bei der Base und ihrem schönen Gut einzufinden. Er beauftragte also den Knecht, Bernerwägelein und Geschirr für die Frühe des andern Tages zu rüsten. Der Kathrine, seiner jungen Magd, befahl er zeitig aufzustehen, denn Schlag fünf Uhr morgens müsse der Milchkaffee auf dem Tische dampfen.
Sobald die junge Magd in der Küche aufgeräumt hatte und das Feuer im Herde erloschen war, machte sie sich zu Bette, um ja früh genug am kommenden Morgen aufstehen und das Frühstück bereiten zu können.
Mitten in der Nacht erwachte Kathrine und sprang aus ihrem Laubbett, denn die Kammer war schon halbwegs hell, und sie glaubte den Tag dämmern zu sehen. Es war aber der Vollmond, der die Kammer mit einer heimeligen Dämmerung erfüllte. Sie war jedoch voll Feuereifer, ihrem Meister das Frühstück zu rüsten, und merkte es daher nicht. Leise machte sie sich in die schwach erhellte Küche hinunter. Dort eilte sie an den Herd, griff zum Feuerstein und fing auf Tod und Leben an Feuer zu schlagen. Doch der Zunder war feucht und wollte einfach nicht zu glimmen anfangen. Darüber verlor sie den Kopf ganz. Rasch tat sie noch einen Blick durchs Küchenscheiblein, um zu sehen, ob der Tag denn nicht bald die Sonne über die Berge schicken wolle. Da gewahrte sie draußen vor dem Hause, kaum zwanzig Schritte von der Hausmauer weg, ein Feuerchen, das ruhig auf der Hausmatte brannte. Sie dachte, man werde dort gestern Stauden verbrannt haben, und nun sei das Feuer noch nicht völlig erloschen. Also griff sie schnell nach dem Kohlenbecken und eilte hinaus, um sich vom Feuer einige glühende Kohlen für ihren Herd zu holen.
Als sie vors Haus in die Matte kam, erblickte sie zu ihrer Verwunderung drei Männer, die in weiße Tücher eingehüllt stumm um das Feuer kauerten. Sie dachte, es werden wandernde Leute sein. Geschwind machte sie sich zu ihnen heran und fragte schüchtern, ob sie nicht ein paar glimmende Kohlen für ihren Herd nehmen könnte. Die Männer sagten kein Wort und starrten nur vor sich hin in die Glut. Da meinte Kathrine, die Männer seien auch der verstorbenen Base wegen da und warteten auf den Altmüller. Daher langte sie sich bescheidentlich ein paar rote Kohlen aus dem Feuer und lief damit, so hurtig sie konnte, in die Küche zurück. Aber wie sie die Kohlen auf den Herd ausschüttete, waren sie schon erloschen.
Die Magd ließ sich das aber nicht verdrießen, und da sie dachte, der Meister werde bald aus seiner Kammer herabrumpeln und frühstücken wollen, um mit den draußen harrenden Männern zu gehen, verließ sie mit dem Kohlenbecken die Küche nochmals. Sie eilte wieder zu den drei weißen Gestalten hinaus, die immer noch unbeweglich ums Feuerlein saßen. Sie grüßte wiederum freundlich, nahm sich rasch ein Becken voll Glut, dankte höflich und jagte damit, flink wie ein Wiesel, in die Küche zurück. Doch kaum berührten die Kohlen den Herd, so erloschen sie auch diesmal.
Jetzt war es der jungen Magd übel zumute. Sie hörte irgendwo im Hause etwas knacken und meinte, der Altmüller sei schon im Anzuge. Deshalb packte sie das Kohlenbecken und eilte über Kopf und Hals hinaus zu den drei Männern. Und da sie weder auf ihren wiederholten Gruß noch auf ihre Frage nach Kohlen etwas antworteten, schürte sie ihr Becken nochmals mit Kohlen voll, wobei sie die glühendsten nahm, die sie zu erhaschen vermochte. Als sie aber das Kohlenbecken aufnahm, erhob der älteste der drei Männer das Haupt und sagte mit einer tiefen Stimme: "Nun komm aber nie wieder!"
Kathrine erschrak, als sie sein leichenblasses, mürrisches Gesicht sah; es ward ihr mit einem Male unheimlich, und in wilden Sprüngen stürmte sie mit ihrem frisch gefüllten Kohlenbecken ins Haus.
Jetzt mußte es höchste Zeit sein, gewiß war der Meister schon in der Stube. Sie leerte die Kohlen auf den Herd, aber zu ihrem Schrecken waren auch diese wieder ausgelöscht. Ratlos stand sie da, denn sie getraute sich nicht mehr hinaus, doch wollte sie nachsehen, ob die unheimlichen Männer noch ums Feuerlein kauerten. Wie sie ans Fensterscheiblein trat, schlug es plötzlich in einem nahen Dorfe die Mitternachtsstunde. Laut krachte es ums Haus, Feuer und Männer waren spurlos verschwunden, und mit Grausen sah sie just, daß eben der Mond hinter den Waldhöhen unterging.
Pfeilschnell huschte die Magd aus der Küche, jagte die Stiegen hinauf in ihr Guckauskämmerlein und schlüpfte unter die schweren Decken ihres Laubbettes. Sie wagte kaum zu atmen vor Furcht, und also schlief sie nach langem endlich ein, und zwar so fest, daß sie die festgesetzte Stunde, in der sie das Frühstück hätte herrichten sollen, wirklich verschlief.
Es war sechs Uhr, als der Altmüller in die Stube herabkam und zu
seinem Verdruß weder das Frühstück noch die Kathrine vorfand.
Wie er aber in der Küche nachsah, ob etwa die Milch doch auf dem
Herd schon koche, sah er zu seinem Erstaunen die Herdkunst mit Gold vollgeschüttet.
In drei Häuflein lagen die Golddukaten übereinander, eine weit
größere Summe als die war, die er von seiner Base zu erben
hatte. Er rief dröhnend nach der Magd und brachte damit das ganze
Haus in Aufruhr. Jetzt hastete Kathrine die Stiegen herunter, und als
sie die in eitel glitzerndes Gold verwandelten Kohlen sah, machte auch
sie große Augen. Dann aber erzählte sie den Hergang, und alle
schlugen mit geheimem Grauen die Hände über dem Kopf zusammen.
Kathrine aber, der der Altmüller redlich das Gold ließ, das
ihr die drei unheimlichen Männer gespendet hatten, war ein reiches
Mädchen, dem es seiner Lebtag gut ging.
Quelle: Meinrad Lienert,
Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bettina Stelzhammer, Jänner
2005.