ZUR WILDEN JAGD

Wohl keine sage ist im Lesachthale verbreiteter und wird allgemeiner geglaubt als die von der 'wilden fare', obwohl man heutzutage über das wesen derselben ganz im unklaren ist, und dem fragenden keinen bescheid zu geben weiß über jene, die bei der wilden jagd mitziehen, oder über den anführer derselben. man wird fast keinen bauer antreffen, der nicht zum wenigsten einmal die wilde fare gehört hat und ihr mit genauer noth entronnen ist. sie läßt sich in gar vielen nächten vernehmen, besonders aber in 'den zwölften', um mitternacht hört man am berge oben dreimal jauchzen (was man bei leibe nicht nachahmen darf) und bald darauf erhebt sich ein furchtbarer immer näher kommender lärm: hundegebell, kettngerassel und pferdegetrappel sind am deutlichsten zu vernehmen; wie sie an einem berge herabgefahren ist, fährt sie am andern hinauf, und der lärm verstummt wieder. wer sie hört, muß sich ganz ruhig verhalten: kein kind darf weinen, sonst kommt sie herbei und nimmt es mit sich fort. wen sie am wege überrascht, der muß sich flach auf den bauch niederlegen, und dieselbe über sich hinwegfahren lassen (er hört bloß, aber sieht nicht), und wenn er demnach ein 'leken' (schaden) davonträgt, so muß er über jahr und tag sich an die nämliche stelle legen und er wird geheilt.

einmal wurde von einem geheimen zuschauer im dorfe St. Lorenzen denn doch etwas gesehen, und ich will es hier nach der erzählung eines alten hirten (im herbste 1851) wiedergeben:

in einer mondhellen nacht ließ sich das gewöhnliche jauchzen vernehmen, der lärm kam immer näher und zwar diesmal dem dorfe zu. voran ritten drei große männer, jeder eine stange in die höhe haltend, auf welcher eine leiche angebunden war. hinterher kam eine menge wildaussehender leute. am dorfplatze lagern sie sich, machen ein feuer an, führen aus dem nächsten stalle einen ochsen, den sie schlachten, braten und verzehren. die knochen legen sie dann in die haut zusammen, peitschen dieselbe mit ruthen, und führen den wieder erstandenen ochsen in den stall zurück, worauf sie mit gräßlichem lärm wieder weiter jagen. im verlauf des nächsten tages aber verdorrte der ochse.


Der aus Liesing stammende Germanist und Sprachforscher Prof. Dr. Matthias von Lexer (1830 - 1892) verbrachte seine Ferien meistens auf der Alm als "Zuepate" (Jemand, der dem Hirten behilflich ist). Aus dieser Zeit rühren drei Sagen aus dem Lesachtal, die ihm ein Hirte erzählt haben soll. Diese veröffentlichte er in "Frommann´s Mundarten" (1855). Lexer war damals ein vehementer Verfechter der Kleinschreibung und hat die Sagen in dieser Form festgehalten.


Quelle: Sagen und Geschichten aus dem Lesachtal, gesammelt und niedergeschrieben von den Schülern der 2. Klasse der Hauptschule Lesachtal Schuljahr 2000/2001, unter den Anleitungen von Hans Guggenberger und Edith Unterguggenberger