DIE WILDEN SENDER

Vom Weiler Wiesen westlich von St. Lorenzen im Lesachtal, kurz nach der neuen "kleinen Europabrücke", die über den Radegunder Graben führt, zweigt nach Norden ein Sträßlein ab, das nach einigen Kilometern zum romantisch gelegenen Tuffbad in 1262 m Höhe führt. Wer von hier nach dem Graben weiter einwärts wandert, gelangt nach ca. drei Stunden auf den 2260 m hohen Zochenpass, der einen uralten Berggang ins Osttiroler Pustertal und nach Lienz darstellt. Ein Kranz herrlicher Berge der Lienzer Dolomiten empfängt hier den Bergsteiger. Manche von ihnen tragen eigenartige Namen. Schon der Name "Unholden", wie die Lienzer Dolomiten einst hießen, verrät uns, dass es hier früher einmal nicht ganz geheuer war. Wenn wir vom Zochenpass nach Südosten schauen, fällt unser Blick auf das 2599 m hohe "Böse Weibele", das seinen Namen wohl nach einer Wetterhexe bekommen hat, die hier einst ihr Unwesen trieb. Nördlich davon erheben sich zwei Felsgipfel mit 2736 m und 2741 m, die höchsten in der Runde: die "Wilden Sender". Um sie rankt sich folgende Sage: Vor urdenklichen Zeiten machten "Wilde Sender" (wilde Senner) das Gebiet um das Tuffbad unsicher. Sie ängstigten Mensch und Tier und jagten im Sommer bei Nacht das Weidevieh mit Peitschenknall und Geschrei über die Alm, dass viele Tiere tot zusammenbrachen. Doch als die Hirten mit geweihten Palmbuschen und Kräutern, die am "Hohen Frauentag" (15. August) in Maria Luggau geweiht worden waren, ein Feuer entzündeten, zogen sich die "Wilden Sender" tiefer in die Unholden zurück, da sie den heiligen Rauch nicht "schmecken" konnten. Nun wurde dieses "geweichte Foier" alljährlich wieder entfacht, und die Alm hatte ihren Frieden.

Nach einiger Zeit glaubte man, von den Plagegeistern nun für immer Ruhe zu haben, und hörte mit dem Abbrennen der geweihten Buschen auf. Aber plötzlich waren die "Wilden Sender" wieder da. Verängstigt zogen sich die Hirten zurück, niemand getraute sich mehr auf die Alm. Da fasste ein schneidiger Gämsenjäger Mut. Er lud sein Gewehr mit einer in der Heiligen Nacht geweihten Kugel und versteckte sich auf dem Dachboden einer Almhütte. In der Nacht näherte sich plötzlich ein Johlen und Peitschenknallen der Hütte. Im Mondschein gewahrte der Bursche seltsame Gestalten, die das Vieh in wilder Hast vor sich hertrieben. Auf einmal drückten sie die Hüttentür ein, machten am offenen Steinherd ein Feuer und begannen Milch und "Plentn" (Polenta) zu kochen. Als sie sich zu Tisch gesetzt hatten, zielte der Jäger von oben durch die Bodenluke, und die geweihte Kugel traf die "Wilden Sender". Im Augenblick war es stockfinster und der Spuk war verschwunden Nur von draußen hörte man ein furchtbares Johlen und Brüllen. Blitze und Donner folgten, begleitet von einem unheimlichen Rauschen.

Erst am Morgen wagte sich der Jäger aus der Hütte. Die Gegend war nicht wieder zu erkennen. Wo früher eine grüne Alm war, schäumte jetzt ein Wildbach durch einen tiefen Graben. Am hintersten Ende des Grabens aber waren die "Wilden Sender" zu Fels erstarrt. Dort stehen sie heute noch und schauen drohend auf den Wildsendergraben herab.


Quelle: Sagen und Geschichten aus dem Lesachtal, gesammelt und niedergeschrieben von den Schülern der 2. Klasse der Hauptschule Lesachtal Schuljahr 2000/2001, unter den Anleitungen von Hans Guggenberger und Edith Unterguggenberger