Vorwort zur ersten Auflage

Mit diesem dritten Bande hat der Sagenkreis des klassischen Altertums, soweit derselbe auf allgemeines Verständnis Anspruch machen kann, seinen Schluß in unsrem hiermit beendigten Werke gefunden, und der Verfasser glaubt versichern zu dürfen, daß kein wesentliches Element dieser Sage, das überhaupt Gegenstand der unserer Zeit überlieferten Erzählung oder Dichtung ist, übergangen worden sei. Anfangs, als der Plan des Aufnehmbaren von ihm entworfen wurde, hielt derselbe es fast für unmöglich, die Schicksale der letzten Tantaliden einer Lesewelt, die zum großen Teile voraussichtlich aus Frauen und Kindern bestehen sollte, unverkürzt mitzuteilen. Das Verlangen nach Vollständigkeit ermutigte ihn jedoch zu dem Versuche, auch diese Schwierigkeit zu überwinden, und er hofft, daß das gerechte Urteil, welches in den früheren Bänden zarte Schonung verletzbarer Ohren und mit heiliger Scheu zu behandelnder Gemüter anerkannt hat, sich auch auf die Bearbeitung des genannten Stoffes erstrecken werde. Bei der möglichst hergestellten Harmonie der Tragiker ist besondere Rücksicht auf diese Forderung der Sittlichkeit, welche selbst der freieste Schönheitssinn anerkennen wird, genommen worden.

In der Behandlung der "Odyssee" war eine solche Vorsicht nicht nötig. Hier brauchte sich der Darsteller nur so streng als möglich an das Originalkunstwerk des Altertums zu halten, um den rührendsten Eindruck der Unschuld und Sittenreinheit zu machen. Wer sich überzeugen will, daß die menschliche Natur, so untüchtig durch sich selbst zum vollkommen Guten, doch keineswegs vollkommen untüchtig zum Guten ist, der stärke seinen Glauben an die Menschheit, welcher der frömmsten Religionsüberzeugung nicht zuwiderläuft, an diesem Werke des grauen Heidentums.

Die "Äneis" hat dem Verfasser am meisten zu schaffen gemacht. Hier die Längen abzuschneiden, ohne das Ziel des Weges selbst unzugänglich zu machen; alle jene Zutaten ersonnener Volkssage, die, nach einer "Ilias" und "Odyssee", in ihrem prunkenden Scheine selbst einem Kinde fühlbar werden müßten, zu entfernen, ohne den Zusammenhang der originellsten und lieblichsten Erfindungen, die bald einen Teil der poetischen Geschichte des Gedichtes, bald unschätzbare Episoden bilden, unerkennbar zu machen, oder gar zu zerstören - dies empfand der Bearbeiter als keine kleine Aufgabe; zumal da dieselbe noch von keinem modernen Erzähler der Sagen des Altertums versucht worden war. Sein Bestreben ging dahin, durch Zusammendrängen wesentlicher Schönheit dem kunstvollen Werke des Römers für die Jugend einen Reiz der Neuheit und gewissermaßen der Kurzweiligkeit zu geben, den man im Originale vergebens sucht.

Und so möchten denn alle diese Sagen zusammen, als der Inbegriff der klassischen Heroenmythen, sich durch gewissenhafte und dem Zwecke des Buches angemessene Bearbeitung ihres Inhalts zahlreiche Freunde bei den Jungen und manche auch bei den Alten erwerben. Mit diesem Wunsche entläßt der Verfasser sein Werk, das für ihn zugleich der Widerhall zwanzigjähriger öffentlicher und häuslicher Beschäftigungen ist.

G. Schwab