Der rote Hahn

War da ein wohlhabender Bauer, der jeden Samstag eine Fuhr Körndl zu Markte bringen konnte, wofür er gutes Geld heimbrachte. Einmal nun hatte er recht vorteilhaft verkauft und voll Freude darüber guckten er und sein gutes Weibchen ein wenig tiefer ins Gläschen, sodaß sie mit ihrem Fuhrwerke in die stockfinstere Nacht hineingerieten. Kein Wunder also, daß die Pferde vom rechten Wege abkamen und mit dem Bauer und der Bäuerin, die sorglos schliefen, mitten durch ein wogendes Ährenfeld fuhren, das knapp an einem tiefen Abhänge lag. Der Wagen samt den Insassen wäre rettungslos in die Tiefe gestürzt, hätte sich nicht ein guter Geist des Bauern und ehrlichen Ehepaares erbarmt. Wie nämlich das Gespann knapp am Rande anlangte, da flog aus den Ähren ein roter Hahn geräuschvoll empor und schrie so laut: „Kikeriki", daß es dem Bauer durch die Ohren gellte. Er wachte auf, erkannte sogleich die Gefahr und zog mit den Zügeln die sich aufbäumenden Rosse vom Abgrunde zurück.

Darum sagt man noch heute scherzweise: „Du, trink nicht so viel! Wer weiß, ob noch der rote Hahn wacht!"

Quelle: Sagenreise ins Pielachtal, Sagen, Erzählungen, Geschichten - aus dem reichen Sagenschatz des Pater Willibald Leeb. Zusammengestellt und herausgegeben von der Arbeitsgruppe Heimatforschung im Verein für Dorferneuerung in Hofstetten und Grünau. Text: ca 1900.
Von Gerhard Hager, Verein für Dorferneuerung, 3202 Hofstetten-Grünau, freundlicherweise für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.