DER TOD DES VERGIL

Und weil er sehr mächtig und reich war von Gut, machte er ein schönes, lustsames Schloß, das nur einen einzigen Eingang hatte, denn sonst war es von allen Seiten von einem großen Wasser umflossen, so daß niemand hineinkommen konnte als durch das eine Tor. Und dieses Schloß stand außerhalb der Stadt Rom, und der Eingang war mit vierundzwanzig eisernen Flegeln versehen, denn auf jeder Seite des Tores standen zwölf Männer, die, ohne ein Wort zu sprechen, einer nach dem ändern unaufhörlich mit den eisernen Flegeln vor sich niederschlugen; und kein Mensch konnte durch das Tor, wenn die Flegel nicht stillstanden. Und die Flegel ließen sich mit einer eisernen Schraube schließen, von der niemand wußte als Virgilius allein, der einen großen Teil seiner Schätze in dem Schlosse bewahrte, und wenn er hineingehen wollte, schloß er die Schraube.

Und als er dies vollbracht hatte, gedachte er erst ein wunderlich Ding zu vollbringen, denn er meinte, sich wieder jung zu machen, damit er noch lange leben und viel Wunder verrichten könnte.

Da ging Virgilius auf eine Zeit zu dem Kaiser und bat um Urlaub auf drei Wochen, denn er wollte eines Geschäfts wegen, das er vorhätte, außen sein. Aber der Kaiser wollte ihm den Urlaub nicht bewilligen, weil er den Virgilius gern allzeit um sich hatte. Als das Virgilius hörte, ging er nach Hause und ließ denjenigen seiner Leute zu sich, dem er am meisten traute und der ihm der heimlichste war. Mit diesem Knechte ging er nach seinem Schlosse vor der Stadt, und als sie vor den Eingang kamen, standen die Flegel davor und schlugen. Da sagte Virgilius zu dem Knecht: «Geh voran in das Schloß.» Da sprach der Knecht: «Herr, ich kann nicht hindurchgehen, denn die Flegel würden mich totschlagen.»

Da zeigte Virgilius dem Knecht, an welcher Seite des Eingangs die Schraube war, die er drehte: da blieben die Flegel stillestehen, und sie gingen beide durch das Tor in das Schloß. Und als sie in dem Kastell waren, schloß Virgilius das Tor und sagte: «Mein lieber Knecht, da ich dir am meisten vertraue und du mir der heimlichste bist von allen meinen Knechten, so will ich dir am meisten befehlen, mehr als irgendeinem Menschen, der da lebt.» Da führte er den Knecht in den Keller, wo er eine schöne Lampe gemacht hatte, die allzeit in dem Keller brannte. Und Virgilius sprach zu dem Knechte: «Siehst du die Tonne, welche hier steht?» Der Knecht sprach: «Ja.» Da sprach Virgilius:« In diese Tonne mußt du mich einsalzen; zuvor aber sollst du meinen Leib ganz in Stücke hauen und meinen Kopf in vier Stücke teilen. Und dann sollst du mein Haupt mitten auf den Boden der Tonne legen und die anderen Stücke darüber, aber mein Herz in die Mitte. Hernach setze die Tonne unter die Lampe, daß sie Tag und Nacht hineintropfe, und neun Tage lang mußt du die Lampe einmal des Tages füllen und das nicht lassen: dann werde ich wieder erneuert werden und wieder ein Jüngling sein und lange leben, sofern es mir von Oben nicht benommen wird.»

Als dies der Knecht hörte, erschrak er und sprach: «Lieber Meister, das tu ich nimmermehr: ich will euch nicht töten.» Da sprach Virgilius: «Ich begehre, daß du dies tust, denn es ist ohne Gefahr.» Und Virgilius sprach soviel und drohte zuletzt dem Knecht, bis er endlich tat, was Virgilius befohlen hatte. Er schlug ihn in Stücke, salzte ihn in die Tonne ein und hängte die Lampe darüber, daß sie allzeit hineintropfen mochte. Darauf ging der Knecht aus dem Schlosse und schloß den Eingang wieder, indem er die Schraube drehte. Da gingen die Männer wieder und schlugen mit den Flegeln und niemand mochte hineinkommen. Und jeden Tag kam er ins Schloß und füllte die Lampe, wie Virgilius ihm geboten hatte.

Als nun Virgilius ausblieb, hatte der Kaiser großes Verlangen nach ihm, denn er hatte ihn lange nicht gesehen. Aber Virgilius war getötet und lag in dem Gewölbe. Als nun der siebente Tag kam und Virgilius nicht zurückkehrte, ließ der Kaiser den Knecht kommen, von dem er wußte, daß ihn Virgilius am meisten liebte. Den fragte er, wo sein Meister wäre. Da sprach der Knecht: «Gnädiger Herr, ich weiß nicht, wo er ist; es ist sieben Tage her, daß er hinwegfuhr, ich weiß nicht wohin.» Da sprach der Kaiser: «Du lügst, Bube, du sollst mir deinen Meister zeigen oder ich lasse dich töten.» Da erschrak der Knecht und sprach: «Gnädiger Herr, es sind nun sieben Tage, da ging ich mit ihm hinaus in sein Schloß, und da ließ ich ihn und hab ihn seitdem nicht mehr gesehen.» Da mußte der Knecht mit dem Kaiser nach dem Schlosse gehen. Und als sie an den Eingang kamen, mochten sie nicht hindurch, der Flegel wegen. Da sprach der Kaiser: «Laß die Flegel ruhen, daß wir hineinkönnen.» Der Knecht sprach: «Herr, dazu weiß ich keinen Rat.» Da wollte der Kaiser den Knecht töten, und aus Furcht vor dem Tode drehte der Knecht die Schraube und ließ die Flegel stillestehen.

Da ging der Kaiser mit seinem Geleite in das Schloß und suchte in allen Winkeln nach Virgilius. Und als er ihn nicht fand, ging er in den Keller und sah die Lampe über der Tonne hängen, und in der Tonne war das gesalzene Fleisch des Virgilius. Da fragte der Kaiser den Knecht, wer ihn so kühn gemacht hätte, seinen Meister zu töten. Der Knecht antwortete nicht, und der Kaiser zog im Zorn sein Schwert und tötete den Knecht. Und als er das getan hatte, sah der Kaiser und all sein Volk ein nak-kendes Knäblein dreimal um die Tonne laufen, das sprach: «Verflucht sei der Tag und die Stunde, da Ihr hierherkamt.» Da verschwand das Knäblein und ward nicht mehr gesehen, und Virgilius blieb tot in dem Fasse.


Quelle: Text nach dem Volksbuch 'Eine schöne Historie von dem Zauberer Virgilius, seinem Leben und Tod und den wunderbaren Dingen, die er durch Negromantie und mit Hilfe des Teufels vollbrachte. Frankfurt am Main. Druck und Verlag von H. L. Brönner. Gedruckt in diesem Jahr, ed. Simrock, S. 38 - 41
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 19, S. 18