BAUWERKE IN NEAPEL

Virgilius erbaute in Neapel auch ein Stadttor, und über jedem Eingang stand ein Kopf aus panischem Marmor. Und der Kopf über dem Eingang zur rechten Hand zeigte stets heitere, lächelnde Miene, der an dem linken dagegen verdrehte die Augen wie zornig und betrübt. Wer nun durch den Eingang zur Rechten in die Stadt kam, dem gelang alles, was er da vornahm, wer durch den zur Linken kam, dem mißriet alles. Nur mußte es von ohngefähr geschehen sein und nicht aus Kenntnis des Wunders, denn alsdann hatten die Bilder keine Kraft. Ferner erbaute Virgilius in Neapel einen Glockenturm, der sich, wiewohl er von Stein war, stets mit der Glocke bewegte, die darin hing, so daß Turm und Glocke, als wenn sie ein Leben hätten, sich allzeit miteinander rührten und regten. Virgilius zauberte auch das Bild der Stadt Neapel in eine gläserne Flasche mit sehr enger Mündung, und so lang die Flasche unversehrt blieb, sollte die Stadt nicht Schaden nehmen können. Gleichwohl ward sie 1191 erobert, aber damals hatte die Flasche einen kleinen Sprung, wie des Kaisers Kanzler Konrad, der sie gesehen hat, bezeugt. Derselbe berichtet auch, Virgilius habe zu Neapel in dem sogenannten eisernen Tor alle Schlangen eingesperrt, an welchen die dortige Gegend der vielen unterirdischen Gänge und Kanäle wegen großen Überfluß gehabt, und dieses Tor allein habe man zu seiner Zeit zu zerstören Scheu getragen, damit die Schlangen nicht herauskämen und das Land und die Einwohner belästigten. Vielleicht meinte er damit das obengenannte Herrentor, das nach Nola führt.


Quelle: Text nach dem Volksbuch 'Eine schöne Historie von dem Zauberer Virgilius, seinem Leben und Tod und den wunderbaren Dingen, die er durch Negromantie und mit Hilfe des Teufels vollbrachte. Frankfurt am Main. Druck und Verlag von H. L. Brönner. Gedruckt in diesem Jahr, ed. Simrock, S. 51 f.
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 18, S. 18