§.13. Vergleich des Griechischen Epos mit dem Deutschen.

So entstanden die verschiedenen Sagenkreise des Deutschen Volkes, welche sich im Allgemeinen als der nördliche (Sigfrid), südliche (Dietrich) und als das Zusammentressen beider auffassen lassen. In dieser Entstehungsweise bieten sie allerdings eine große Aehnlichkeit mit den Griechischen dar, für welche die Geschichten des Dorischen und Ionischen Stammes und deren Mischung im Aeolischen, die scheidenden Principe waren, die mit dem wachsenden Verkehr der Stämme in einander ebenso, wie bei uns in den Nibelungen, verflossen. Und wie alle Griechen im Homerischen Epos sich anerkannten, weil in ihm keines besonderen Stammes, sondern aller Stämme Herrlichkeit gefeiert wird, so kann dies auch in beschränkterem Maaße nicht zwar von unserem Gedicht, wie es dermalen vorliegt, wohl aber von der Sage der Nibelungen im Allgemeinen behauptet werden. Für die Griechen war der Zug nach Troja ihr Kreuzzug, in Helena die verlorene Schönheit wieder zu erobern, die Dorische Völkerwanderung ihr nach politischer Verfassung strebendes Mittelalter, der Perserkrieg Uebergang in ihre moderne Zeit, welche in der Aufklärung des Peloponnesischen Krieges sich bis auf den universellen Alexander vollendete. Aber in so verschiedenen Zeiten lebte bei ihnen die Homerische Sagenwelt in gleicher Kraft als das höchste Volksbuch und ist sie noch heute nicht blos bei den Neugriechen, sondern bei allen gebildeten Völkern der klarste Spiegel wahrhaft epischen Lebens und wird sie also in ewig junger Gegenwart fortblühen durch alle kommenden Geschlechter, welcher Allgemeinheit sich das Lied der Nibelungen trotz aller liebenden Achtung nie wird erfreuen können. Die Trias des heiligen Homer, des alten Testamentes und des Evangeliums duldet sie - die man wohl das Evangelium Deutscher Tapferkeit genannt hat, nicht neben sich. Und wenn auch die Sage von Sigfrid, dessen Drachenkampf bald auf den heiligen Georg als auf den Patron der Reichsritterschaft übertragen ward, hier und da noch bis jetzt unter uns fortdauert, so ist dies doch nur ein vereinzeltes und kümmerliches Dasein, an dessen Stelle der tiefere Inhalt der Geschichte Christi getreten ist.

Ueber die unnöthige Sucht, die Nibelungen vergeblich zu etwas Mehrerem, als sie sind, aufpreizen zu wollen. - Ueber die Sucht der Völker, von Homerischen Helden abzustammen; die Arverner (Lucani Phars. I. 430); Clermont von Antenor erbauet; Troyes; Brutus in der Englischen Chronik; Franko in Lützelburg; Xanthen nach dem Annoliede u. s. f. - Vergleichung des Achilleus mit Sigfrid (Roland), des Attila mit Priamus (Karl d. Große), des Dietrich mit Herakles (Reinold), des Hagene mit Loki, mit Odysseus und Ganelon, des Hildedrand mit Nestor u. s. f.

Quelle: Das Heldenbuch und die Nibelungen, Karl Rosenkranz, Halle 1829, S. 19ff
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