§. 5. Geschichte.

Was im Mythus und in der Sage einseitig, dort als göttliche, hier als menschliche That vorgestellt wird, das vereint sich in der Geschichte, welche die Idee in Raum und Zeit individualisirt [individualisiert]. Die Geschichte, welche ein Volk nothwendig als seine That weiß, ist deshalb tiefer, als Mythus und Sage, welche in ihr zu Grunde gehen und gegen ihre verständig bewußte Erinnerung nicht mehr auszuhalten vermögen. Daher kann sich bei Völkern, die von den großen Bewegungen der Weltgeschichte abgeschieden ein einfaches Dasein lange Zeit wiederholen, die Sage langer erhalten, wie bei den Schotten die von Fingal, auf den Fardern die von Sigurd u. a. Diese Epoche des Ueberganges aus der mythischen Welt, der es mehr um Festhaltung der allgemeinen charakteristischen Züge, als um genaue Bezeichnung von Namen, von richtiger Zeitbestimmung u. s. f. zu thun ist, hat viele Werke veranlaßt, in denen die Poesie der Sage und der documentirte [dokumentierte] Verstand der Geschichte durch einander schwanken wie für die Gothen [Goten] im Jornandes, für die Franken Hunibald's Chronicon, für die Bretonen Galfred von Monmouth, für die Schotten Hector Scotus, für die Dänen Saxo Grammaticus (in dessen Geschichte die ersten acht Bücher lauter alte Sagen und Lieder enthalten), für die Scandinavier überhaupt Snorro's Heimskringla.


Quelle: Das Heldenbuch und die Nibelungen, Karl Rosenkranz, Halle 1829, S. 5f
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