§. 21. Uebergang der heimischen Sage in eine andere Formation.

Nachdem wir nun sowohl die Scandinavische Götterwelt in die der Helden, als die Heldenwelt in die neue Welt des christlichen Lebens haben verschwinden sehen, wollen wir noch kurz das Uebergehen und Fortleben der alten Sage in diesen jüngeren Formen betrachten. Unleugbar ist im Wolfdietrich die negative Stellung des Ostgothischen Dietrichs als eines Arianers gegen die katholische Kirche ganz verschwunden, so daß er vielmehr als Kreuzfahrer, Kaiser von Rom und Klosterbruder würdig in das Heiligthum der kirchlichen Poesie eintritt, wie er auch wohl dieser Haltung wegen dem Wolfram von Eschenbach als dem allseitigen Verherrlicher der Kirche und nicht blos darum, daß derselbe mitten im Gedicht als Verfasser genannt ist, zugeschrieben wird. Die Sage wird nämlich seit dem dreizehnten Jahrhundert entweder zur Legende, oder zum geschichtlichen Epos oder zum romantischen Epos, was denn eben so in Roman und Romanze, wie das geschichtliche in Chronik und Volkslied übergeht. Diese drei Richtungen zeigen sich von nun an beständig. Wir erinnern nochmals, daß nur diesen inneren Zusammenhang darzustellen hier unser Zweck ist, weswegen wir die langweiligen Genealogieen, z. B. im Anfang von Dietrichs Ahnen und Flucht zu den Hunnen, so wie in dem prosaischen Anhang des gedruckten Heldenbuchs gar nicht berücksichtigen. Die epischen Volkslieder sind das zersplitterte Epos.

Die Sagen und Gedichte, welche näher diesen Uebergang wirklich enthalten, sind die vom heiligen Georg, vom Herzog Ernst und von Flos und Blancflos. In der Legende vom heiligen Georg suchte man nämlich den Charakter Sigfrids und Wolfdietrichs zu vereinen. Es ist bekannt, daß die Griechische Legende noch nichts vom Drachenkampf des Heiligen weiß; erst die Lateinische hat ihn und macht ihn von nun an zum wichtigsten Moment, so daß der Heilige gegen alle irdische böse Brut dieselbe Dignität erhielt, als der Erzengel Michael gegen die Schaaren der Hölle. Unter den Legenden konnte nach der vom heiligen Georg nur die vom Christophorus und von der Genovefa bei den Deutschen sich einer gleichen Liebe erfreuen. - Der Herzog Ernst von Schwaben ist eine wirkliche geschichtliche Person, welche die Sage nur in frühere Zeiten rückt und zum Sohn Otto's und Adelheids macht. Ihre innere, das Gemüth ansprechende Tüchtigkeit hat sie, die vielfach bearbeitet worden, vorzüglich dadurch bewährt, daß sie sich zum Volksbuch gestaltete. Sie ist in der That die Deutsche Odyssee. Die Athene des Herzogs ist sein Freund Wetzel (Werner). Die Wunder, welche sie erleben und sogar in die Heimath zurückbringen, sind die uralten und unsterblichen des Morgenlandes. Einäugige Arimaspen, Riesen, Pygmäen, Kraniche, Plattfüße, leuchtende Karfunkel, Elephanten u. dgl. m. Der Greif wurde nachher auch auf den Herzog Reinfrid von Braunschweig übertragen. - Wollte man einer äußeren Andeutung folgen, so müßte allerdings von Flos und Blancflos erst im Karolingischen Sagenkreise die Rede sein, so gut als man gewöhnlich den Rother einen Uebergang dahin bilden läßt. Allein diese Sage, eine der anmuthigsten und rührendsten, welche es giebt, gehört offenbar dem Westgothischen Sagenkreise an. Das bewegende Princip dieser Sage ist, wie im Gedicht von Chaudrun, Rother und Otnit, das Weib, welches durch List entführt wird, mit dem Unterschiede, daß die Listen - wie das Schachspiel mit dem Pförtner, der Rosenkorb im Harem u. s. w. - einen ganz anderen Geist athmen. Dieser rührenden Sage
- was kann rührender sein, als die Trauer von Flos um die todtgeglaubte Geliebte - schließt sich unter den Deutschen die von der getreuen Genovefa einerseits und die von Tristan und Isolde andererseits an. Sonst hat sie nur in der Frithiofssaga, in Chosru und Schirin, Jussuf und Suleicha, Leila und dem Medschnun Aehnliches.

Quelle: Das Heldenbuch und die Nibelungen, Karl Rosenkranz, Halle 1829, S. 45ff
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