VON EINEM GESPENST IN MÜHLBACH

Einem Tischler ging es gar schlimm mit seinen Gesellen, nicht leicht hielt einer lange bei ihm aus. Sie mußten nämlich in der Werkstätte schlafen, und einer hatte jederzeit seine Bettstelle in einer Ecke des Zimmers, der Türe gegenüber. Jeder Geselle, der in diesem Bett schlief, sah nach kurzer Zeit bleich und abgezehrt aus; er klagte dem Meister, daß ihm jede Nacht die Decke genommen werde, die er dann am Morgen hinter der Türe liegend finde. Die Sache schien nicht mit rechten Dingen zuzugehen, und, wie gesagt, keiner hielt es lange aus. Endlich nahm sich ein tüchtiger Bursch vor, der Sache auf den Grund zu kommen; denn, da ihm am Morgen seine Nebengesellen immer auslachten, kam er auf die Vermutung, sie seien es, die sich diesen Spaß mit ihm machten. Er legte sich in dieser Absicht zu Bette und stellte sich, als ob er schlafe, in der Tat aber erhielt er sich wach. Es war noch nicht Mitternacht, als ein alter Mann mit langem grauen Bart hinter der Türe auftauchte, auf das Bett zuschritt und ohne weiters die Decke erfaßte. Der Geselle wollte sie nicht fahren lassen und hielt seinerseits auch fest daran. Aber mit einem unwilligen Blick zerrte sie der Greis weg, hüllte sich darein und ging wieder bis zur Ecke hinter der Türe. Hier schien er zu versinken, und die Decke blieb am Boden liegen. Der Bursch stand auf, holte sich dieselbe und schlief trotz der ausgestandenen Angst bald ein. Aber am Morgen fand er seine Decke wieder hinter der Türe. Alle Versuche, die Ursache dieser Erscheinung auszumitteln, blieben erfolglos, und der Tischler konnte seinen Gesellen nicht mehr in der Werkstätte schlafen lassen.


Quelle: Siebenbürgische Sagen, Herausgegeben von Friedrich Müller 1857, 1885; Neue erweiterte Ausgabe von Misch Orend, Göttingen, 1972, Nr. 79, S. 79