Das Ferdinandische Kruzifix
In der Hofburgkapelle befindet sich ein Kruzifix, an das sich eine merkwürdige Legende knüpft. Ferdinand II. war durch den bereits in der Vorstadt St. Ulrich lagernden aufständigen Grafen Thurn und die mit ihm einverstandenen protestantischen niederösterreichischen Landstände in eine sehr bedenkliche Lage gekommen.
Man setzte ihm derart zu, daß dem bedrängten Fürsten keine menschliche Hilfe mehr möglich schien. Ferdinand suchte daher bei den himmlischen Mächten Rat und Trost und verrichtete vor einem in seinem Schlafzimmer hängenden Kruzifix ein inbrünstiges Gebet. Während dieser Andacht glaubte er, den ermutigenden Zuruf in lateinischer Sprache:
"Ferdinande, non te deseram!"
(Ich werde dich nicht verlassen, Ferdinand!) zu hören.
Wenige Minuten nach diesem Gebete und den erhaltenen Trostworten ließ sich ein unziemliches Geräusch im Vorsaale hören und unangemeldet traten sechzehn protestantische Edelleute herein, um von dem bedrängten Landesfürsten mit frecher Stirne die Genehmigung verschiedener, ihn sehr erniedrigender Anträge zu ertrotzen, wobei Herr von Thonradtel sich sogar vermaß, dem König, ihn bei den Knöpfen seines Wamses fassend, mit den Worten: "Gib dich! Gib dich! Wirst du nicht unterschreiben?" eine Schrift aufzudringen.
Im selben Augenblick schwenkte das Dampierre'sche Kürassierregiment
in den Burghof ein, und als dessen Trompeten ertönten, erbleichten
die Rebellen und verließen fluchtähnlich den Saal. Ferdinand
war gerettet. Das Kruzifix galt fortan als wunderwirkend und wurde in
zahlreichen Andachtsbildern verbreitet.
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 83, S.
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Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, April 2005.