Die mißglückte Schatzhebung

Ich möchte gern wissen, was es für eine Beschaffenheit habe mit dem bekannten Hause in der obern Brännergasse zu Wien, welches ich wegen der noch lebenden hohen Familie nur mit einem großen L. bezeichnen will.

Im erwähnten großen Palast hatte man eine geraume Zeit bemerkt, daß in gewissen Zimmern des ersten Stockwerks, welche man die grünen Gemächer nannte, vielfältiges Poltern und Unruhe vorgegangen, sogar daß sich auch bei hellem Tage keiner von den Bedienten hineinwagen durfte. Nur die einzige alte Haushofmeisterin hatte die Freiheit hineinzukommen, wie denn dieselbe öfters ganz laut bei ihrem Namen "Dorothea! Dorothea!" gerufen wurde. Endlich war ihr solches zu einer Gewohnheit geworden, wiewohl sie niemals der rufenden Stimme gefolgt, sondern vielmehr ihren Geschäften und häuslichen Verrichtungen ungehindert nachgegangen. Die Herrschaft, wie auch alle Bediente mutmaßten hieraus, daß der in diesem Hause längst vermutete Schatz dieser alten Haushofmeisterin zu heben beschert wäre, weswegen man für nötig hielt, dieselbe durch ihren Beichtvater dahin zu bereden, daß sie der rufenden Stimme Folge leisten möchte. Es war dieser ein Mitglied eines gewissen Ordens, den ich mit Fleiß verschweigen will, und führte den Namen Hilarius mit der Tat, inmaßen er in der Geistermaterie nicht sonderlich geübt war, als wozu ein melancholisches Temperament erfordert wird, welches alle Umstände wohl zu überlegen und denselben reiflich nachzusinnen weiß. Dieser machte sich gar kein Bedenken, seinem Beichtkinde unter geistlichem Gehorsam aufzulegen, daß sie der rufenden Stimme allerdings gehorchen sollte. Er gab ihr zugleich zu verstehen, daß weil der Nutz ihrer Herrschaft, welchen sie auf alle Weise zu befördern schuldig wäre, mit unterliefe, er im Verweigerungsfall ihr die Absolution nicht erteilen könnte. Die gute Dorothea wußte gar wohl, was es mit dem geistlichen Gehorsam zu bedeuten hatte und daß sie einem solchen Gewissensbeherrscher nicht widerstreben durfte. Sie erklärte demnach ihrem Beichtvater, daß, wenn die Geisterstimme wieder rufen würde, sie derselben unweigerlich zu folgen bereit wäre. Nachdem sie dieses gelobt, bekam sie die Absolution und ging, wiewohl mit schwerem Herzen, nach Hause. Noch denselbigen Abend, da sie sich in ihrem Zimmer gleich zu Bette verfügen wollte, hörte sie die gewöhnliche Stimme, welche sie dreimal ganz vernehmlich bei ihrem Namen nannte. Sie erinnerte sich alsobald der getanen Zusage, nahm daher das Licht zur Hand und ging mit wankenden Füßen und zitterndem Herzen der Stimme nach in die anstoßende grüne Stube. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, als sie auf allen Tischen Lichter stehen und einige Mannspersonen an denselben sitzen sah. Zwei Parteien unter denselben waren mit Geldzählen beschäftigt, die andern aber saßen still, ohne das geringste vorzunehmen. Der Haushofmeisterin lief über diesen Anblick der kalte Angstschweiß vom Nacken bis zur Ferse herunter, und da sie um zu entrinnen, sich nach der Tür umsah, verschwand das ganze Gesicht unter einem starken Geprassel, wobei es ihr vorkam, als wenn sie große Säcke mit Geld in einen Abgrund hinunterfallen hörte. Sie war vor ausgestandenem Schrecken beinahe halbtot, und konnte mit genauer Not ihr Zimmer und Bett erreichen, allwo sie die ganze übrige Nacht mit hundertfältigen Schreckbildern und Phantasien zu streiten hatte. Des folgenden Tages besuchte sie der sorgfältige Beichtvater, um von ihr zu vernehmen, was ihr in verwichener Nacht begegnet wäre. Da er nun von dem gefallenen Gelde hörte, wurde er in seinem Gemüt höchstens erfreut, weil er sich schon die Hoffnung machte, es wäre nun eine ausgemachte Sache, daß er nebst seinem Beichtkinde den Schatz heben sollte. Wiewohl nun jene kein sonderliches Verlangen trug, sich weiter mit den Geistern einzulassen, mußte sie dennoch, um bei ihrer Herrschaft nicht in Ungnade zu fallen, dem Willen des Beichtvaters in allen Stücken sich unterwerfen. Doch gab ihr dieses in etwas eine Erleichterung, daß der Pater sich erbot, in allen ihren Unternehmungen ihr beizustehen und sie zu begleiten. Die Nacht kam nunmehr wieder herbei, und die Haushofmeisterin hörte abermals die gewöhnliche Stimme, ohne daß gleichwohl ihr geistlicher Gefährte das geringste davon vernehmen konnte, woraus dieser leicht erkannte, daß bei dieser Verrichtung seine Gegenwart nicht erfordert würde, und er nur wieder nach Hause gehen durfte. Inzwischen ermangelte er nicht, seinem Beichtkind mit kräftigen Worten zuzureden, daß sie der rufenden Stimme nur getrost nachgehen möchte. Sie tat solches, er aber folgte ihr wie ein anderer Petrus von Ferne nach. Sobald sie in das vorige Zimmer trat, sah sie zwar Lichter angezündet stehen, aber keine geldzählenden Gäste am Tisch sitzen. Allein, da sie auf des Mönchs Geheiß ihre Schürze über die nächsten Lichter decken wollte, entstand aufs neue ein Geräusch, als wenn Geldsäcke hinabgefallen wären, sie aber bekam für das Zudecken der Lichter eine derbe Maulschelle zur Belohnung, wovon sie bald entseelt zurück in die Stube taumelte. Bei diesen Umständen mußte der Beichtvater allen seinen Mut zusammenfassen und sich persönlich in das Zimmer wagen, damit er seinem, durch die Geister zu Fall gebrachten Beichtkind helfende Hand leisten könnte. Er schleppte sie mit größter Mühe heraus, und weil er sie aller Kräfte und Lebensgeister beraubt sah, fand er sich genötigt, um Hilfe zu rufen, in Maßen bisher sonst niemand als sie beide allein zugegen gewesen. Hierauf kamen nun Unterschiedliche von dem übrigen Hausgesinde herzugelaufen, welche die Haushofmeisterin durch dienliche Mittel wieder zurecht brachten. Diese wußte von ihrer gehabten Entzückung wunderliche Dinge vorzubringen und versicherte, daß sie vorhin gern geredet hätte, wenn ihr nicht von einer alten Frau, welche ihr die Ohrfeige versetzt, der Mund wäre zugehalten worden. Da aber der Beichtvater alles umständlich von ihr wissen wollte, was sie gesehen hätte, gab sie ihm folgende Antwort: Sie hätte die vorigen Mannspersonen wiederum in derselben Ordnung sitzen, und vier derselben Geld zählen gesehen. Neben ihnen hätte sie sechs große eiserne Kästen mit großen Vorlegeschlössern wahrgenommen, und aus zweien derselben, welche offen gestanden, wäre von denen nächst dabei Sitzenden Geld gezählt worden. Es wären lauter große Münzsorten gewesen, und hätten sie solches Geld wieder in die Säcke geschüttet. Die alte Frau aber, von welcher sie die Maulschelle bekommen, hätte jenen mit sehr verdrießlichen Gebärden zu verstehen gegeben, daß sie mit dem Geldzählen fortmachen sollten. Hierauf hätten selbige die Geldsäcke wieder in die eisernen Kästen gelegt und diese ordentlich verschlossen. Gleich danach aber wäre der Fall geschehen und das ganze Gesichte verschwunden. Der geldgierige Beichtvater wollte alles dieses als eine gute Vorbedeutung auslegen und daraus schließen, daß der verborgene Schatz nicht ihr selbst, sondern durch sie der Herrschaft beschert sei. Er hielt daher für ratsam, die Hebung dieses Schatzes ohne weitern Anstand vorzunehmen, und erbot sich, in diesem Werk das Direktorium zu führen. Die Herrschaft war gar zu stark von einer süßen Hoffnung eingenommen, daß sie also die dazu erforderlichen wenigen Unkosten gern bewilligte. Zu diesem Ende wurden sowohl aus ihren eigenen Untertanen, als auch von einer andern Herrschaft Arbeitsleute verschrieben und in besagtem Zimmer der Anfang mit Graben gemacht. Der Beichtvater nebst seiner geistlichen Kurantin mußte Tag und Nacht bei der Arbeit zugegen sein, womit man es endlich so weit gebracht, daß dieses vortreffliche Gebäude ganz unterminiert und mit Stützen versehen, auch an diesen Orten zu menschlicher Bewohnung ganz unbrauchbar gemacht wurde. Dennoch konnte man nicht die allergeringste Spur von einem Schatz oder verborgenem Deposito antreffen, und obwohl dem Beichtvater nicht gar zu wohl bei der Sache war, ließ er dessen ungeachtet immer darauf losgraben.

Bisher hatten die Arbeitsleute im geringsten keine Anfechtung erlitten, bis es endlich einstmals um die Mitternachtsstunde gewaltig zu poltern und um sich zu werfen anfing, daß auch sogar die Arbeiter mit großer Mühe entkommen konnten. Der liebe Beichtvater wollte sich auch nebst seinem Beichtkind aus dem Staub machen, weil ihm aber seine geweihte Wachskerze ausgelöscht war und er also im Dunkeln herumtappen mußte, fiel er unversehens in eine schon gemachte Öffnung, wo er vielleicht geglaubt, daß der gesuchte Schatz liegen mußte. Die Haushofmeisterin folgte seinen Fußstapfen im Finstern nach, daher es denn kein Wunder war, daß sie beide an einem Ort zu liegen kamen. Das beste war dieses, daß sie keinen harten Fall getan hatten, allermaßen dieses diejenige Gegend war, in welcher aller Unflat aus dem ganzen Haus zusammenfließen mußte. Doch eben daher hätte nicht viel gefehlt, daß sie beide in diesem Morast erstickt oder ersoffen wären, wenn nicht durch vielfältig-wiederholtes Schreien die Arbeitsleute bei anbrechendem Tage sich ihrer erbarmt, und sie mit Wurfseilen wieder aus dem Schlamm hervorgezogen hätten. Der Ausgang dieses Schatzgrabens bestand also darin, daß die Haushofmeisterin bald danach ihr Leben einbüßte, der Beichtvater aber wegen seines strafbaren Vorwitzes nach ausgestandener tödlicher Krankheit sich aus dem Kloster mußte verstoßen lassen. Billig zwar hätte es besagter Familie gleichfalls nicht ungenossen hingehen sollen, weil sie gleichwohl dem Mönch zu dergleichen unanständigen Handlungen Anlaß gegeben und folglich einen ganzen geistlichen Orden dem Schimpf und Spott der Leute ausgesetzt hatte. Wie denn die Sache so ruchbar geworden, daß auch die Kinder auf der Gasse davon zu reden gewußt haben.

Quelle: Peuckert, Will-Erich, Die Sagen der Monathlichen Unterredungen Otto von Grabens zum Stein, Berlin 1961, Nr. 110