Die Flasche, die nicht leer wurde

In einem kleinen Dörfchen irgendwo bei Mödling lebte einmal ein Bauer, der Venantius Pubestinger hieß, ein ziemlich reicher, aber ganz und gar nicht kluger Mann. Den zu betrügen, hatten sich zwei landfahrende Studenten vorgenommen. Einer von ihnen kam spät am Abend zu ihm, brachte ihm ein Fläschchen voll guten Weines und bat ihn höflich, ihn über Nacht zu beherbergen.

In die Stube, die zu ebener Erde gelegen war und deren Fenster einer leicht mit der Hand erreichen konnte, wurde ein Licht getragen, und wie man nun beisammensaß und anfing, zu Abend zu essen, hieß der Student, der die Flasche zuvor außen aufs Fenster gestellt hatte, die Bauersleute und das Gesinde wacker trinken, denn er wußte wohl, daß ihnen in dieser Nacht der Wein nicht ausgehen würde. Sein Kumpan hielt sich nämlich draußen heimlich versteckt und füllte die Flasche, sooft sie leer war, allemal wieder mit neuem Wein.

Als nun der Hauswirt und sein Gesinde immer fröhlicher und ein wenig bezecht wurden und sahen, daß der Wein nicht ausging, wieviel sie auch tranken, fragten sie nach der Art und der wunderbaren Kraft des Fläschleins. Da antwortete der Student, das sei Sankt Othmars Flasche, die um der Verdienste dieses Heiligen willen bis in alle Ewigkeit nicht aufhöre, solchen köstlichen, aus einem fernen Lande kommenden Wein zu spenden; er aber habe sich vorgenommen, das Fläschlein zu verkaufen, weil er schier schon überdrüssig wäre des täglichen Trinkens.

Wie der Bauer das hörte, begehrte er sofort dieses Ding zu kaufen, das ihm soviel Trost und Nutzen bringen würde, und er fragte den Studenten nach dem Preis. Hundert Gulden, sagte dieser, wenn er sie bar bekäme. Am Ende wurden sie eins, daß der Student zwanzig Gulden annahm, die der Bauer bereit hatte; das übrige sollte zu gelegener Zeit bezahlt werden.

Als der Student jedoch am anderen Morgen weg war und das Fläschlein nicht so tat, wie der Bauer wollte, klagte er es seinen Nachbarn und machte sich selbst allen Leuten zum Gespött.

Quelle: Pilcz, Karlheinz, Sagen, Märchen, Schwänke und Geschichten aus Mödling und Umgebung, Mödling 1985, Bd. 3, Nr. 25