Der Tanz mit dem Wassermann

In alter Zeit war es in Ludesch Brauch, daß alle Mädchen aus dem Dorfe am Sonntagnachmittag beim Tanzbrunnen zusammenkamen. Sie setzten sich auf den langen, aus einer mächtigen Rohne ausgehöhlten Trog, strählten einander und flochten die schwarzen, braunen und blonden Zöpfe. Dabei tauchten sie, damit es besser und flinker gehe, den Strähl fleißig in den Brunnen. Die Buben aber strichen in der Nähe herum, und sobald die Meiggi fertig waren, holten sie sie zum Tanz auf die Tanzlaube am Tanzbühel:

Ammareile, zuckerzeile,
Kumm mir gond gi tanza!
Eure Räble* nimm in Sack
Und Habermeahl in Ranza!

Und die Meiggi schürzten die weiten roten Röcke und folgten den Buben. In der Laube ging der Tanz wie der Wind, daß alles stob und flog.

Da geschah es einst, als die Meiggi wieder beim Tanzbrunnen saßen und sich strählten, daß ein fremder Mann zum Trog kam. Sobald der Tanz begann, trat er zur Schönsten und nahm sie bei der Hand. Aber nicht in die Laube führte er sie. Ihr Tanz ging entlang dem Wasser und hinab beim Tanzbrunnenbächlein. Und im Brühl [Sumpf] wo dieses im Boden versinkt - niemand weiß wohin -, waren die beiden mit einem Male verschwunden. Keiner sah das Mädchen wieder. Die Leute glauben, daß der Fremde ein Wassermann gewesen sei, der dort in feuchter Tiefe wohne.

*Noch zu Urgroßmutters Zeiten nahmen die Mädchen auf dem Lande, wenn es zum Tanze ging, fest ausgedrückte saure Rüben im Juppensack mit, die sie sich mit ihren Burschen gegen den Durst schmecken ließen.

Quelle: Anna Hensler und H. H. Watzenegger, Sagen aus dem Walgau, in: Holunder 10 (1932), Nr. 10, S. 1, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 192f