Die verwechselten Särge

Am Tannberg stehen hoch oben einige verwitterte Bauernhütten, der Weiler Bürstegg. Ehemals war dieses einsame Örtchen das ganze Jahr hindurch bewohnt, was jetzt nur noch im Sommer der Fall ist. Da hieß es denn, wenn der Herbst nahte, sich mit allem Nötigen zu versehen, was man den langen Winter über brauchte; denn schon frühzeitig liegt in den Bergen klaftertiefer Schnee, und eine Wanderung ins Tal wird zur Unmöglichkeit. Jedoch trotz ihrer Weltabgeschiedenheit hausten diese Bergbauern glücklich und in Eintracht, teilten Freud und Leid miteinander und lebten nach dem Spruche: Bete und arbeite.

Die guten Bauern haben aber nicht nur dafür gesorgt, daß dann Heu und Salz genug da ist und Mehl und Kartoffeln und was man sonst noch notwendig braucht für das Vieh und die Leute, sie haben auch noch weiter gedacht, daß dann auch ein Sarg da ist, wenn etwa jemand sterben sollte im Haus. Als man das Vieh nicht mehr auf die Weide treiben konnte und die ärgste Holzarbeit vorbei war, hat auch einmal der Seppelbauer fleißig an zwei Särgen gezimmert (man kann halt nicht wissen, was passiert in der langen Zeit, bis es wieder Sommer wird) und hat sie dann, als sie fix und fertig gewesen sind, auf den Dachboden hinauf gestellt. „Den einen Sarg nehme grad ich in Beschlag (verwende ich)“, sagt die Bäuerin, „einen Trog für das Dörrobst habe ich sowieso einen viel zu kleinen, und in so einen Sarg geht viel hinein.“

Mitten im Winter stirbt das Hannesle (Johannes) beim Seppelbauern, ein steinaltes Männlein, man hat es auf dem Hof schon als Hirtenbub angestellt, und zuletzt ist es halt inzwischen verkalkt geworden und zu nichts mehr zu gebrauchen als zum Kinderhüten. Während man für die arme Seele betet, holt der Bauer den leeren Sarg - der andere ist voller Dörrobst gewesen - in die Kammer herab, und er und der Nachbar legen das Männlein hinein und tragen es auf den Dachboden hinauf.

„Morgen kann man es wagen mit dem Hannesle“, sagt der Bauer, als es wieder möglich war, nach Lech hinab zu kommen. Am anderen Tag, in aller Gottesfrühe, holt man den Sarg vom Dachboden herab und bindet mit einem Seil eine lange Stange drum herum. Der Bauer hat vorne und der Melch (Name) hinten getragen, und so sind sie mit ihm fort. - Bis die Männer wieder heimkommen, will ihnen die Bäuerin etwas recht Gutes kochen, ausgewalkte Küchlein und gedörrte Schnitze dazu. Nun, sie geht auf den Dachboden, um das Dörrobst zu holen und will vom Sarg den Deckel aufheben; es ist ihr nicht gelungen. Da holt sie das Beil und stemmt mit ihm in die Lücke hinein. Daraufhin ist der Deckel aufgesprungen; aber die Bäuerin auch mit einem Schrei, daß groß und klein hergesprungen ist, um zu schauen, was etwa für ein Unglück geschehen sei. — Die Männer sind anstatt mit dem Leichnam mit dem Dörrobst nach Lech hinab.

Quelle: Adolf Dörler, Märchen und Schwanke aus Nordtirol und Vorarlberg, in: Zeitschrift f. Volkserzählung f. Volkskunde 16 (1906), S.286f, Nr. 16, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 47f