Kinderspiele aus Lustenau (Vorarlberg)

Die Spiele, hauptsächlich die Kinderspiele, sind ein unsterbliches Volksgut. Das Kinderspielzeug ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Kinderspielzeuge, wie Reifen, Kreisel und Ball, waren schon in der vorchristlichen Zeit bekannt. Im Britischen Museum sind ägyptische Bälle aus Papyrus und Schilfrohr aufbewahrt, die Jahrtausende alt sind. Ebenso ist dort ein Spielzeugpferd aus dem 5. Jahrhundert v. Christi. Unbestimmt ist das Alter der Puppe. Sie diente anfangs nicht als Spielzeug, sondern hatte magische oder religiöse Bedeutung. Auf der „Etrusker-Schau“ in Zürich waren Lehmpuppen zu sehen, die ca. 500 v. Chr. als Spielzeug gedient haben sollen. Bekannt ist, daß schon im 14. Jahrhundert Pariser Schneider an Puppen die neueste Kleidermode zeigten und diese an die königlichen Höfe schickten. Nach ihrer Zweckerfüllung wurden diese kleinen Modepuppen den Kindern als Spielzeug überlassen.

Kinderspiele, die heute noch üblich sind, wie Fangen, Paarlaufen, Hälmleinziehen, Eierspiele usw. reichen bis in das 14. Jahrhundert und weiter zurück. Auf Holzschnitten um 1600 finden wir das Steckenpferd dargestellt; um die Mitte des 17. Jahrhunderts kannte man bereits auch das Schaukelpferd.

Im allgemeinen sind die Kinderspiele ihrer Tradition treu geblieben. Immerhin haben politische Wirren und Kriege zu allen Zeiten auch in den Kinderspielen ihren Niederschlag gefunden. So wurden nach der französischen Revolution um das Jahr 1794 Spielzeugguillotinen hergestellt und die Kinder des niedrigen Standes sahen lachend zu, wenn das Fallbeil heruntersauste und den an einem Scharnier befestigten Kopf der Königin Antoinette vom Rumpf trennte. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sah man in den Spielwarengeschäften ganze Abteilungen von Panzern und Kanonen ausgestellt, mit denen gefahren und gefeuert werden konnte. Es liegt an den Eltern und Erziehern, solche Spielzeuge grundsätzlich abzulehnen.

Es ist interessant zu wissen, welche Spiele im vergangenen Jahrhundert in Lustenau gespielt wurden und welche in neuerer Zeit Eingang gefunden haben.

Fangspiele

„Uusfôcho“, „Hüürlifôcho“, „Fôcho mit ar Fröüat“ (ein Baum, ein Heinzen oder a „Schöchli“ waren die „Fröüat“, d. h., ein neutraler Ort, an dem man nicht gefangen werden durfte). Fangspiele im Kreis: „Katz und Maus“ und „Den Dritten abschlagen“. Am Abend vor dem Auseinandergehen gab man sich noch „Die Letzt“ oder „D'Nacht“, was übrigens die Kinder heute noch tun.

Versteckspiele

„Verstecken“ mit dem üblichen Ausruf: „Laß an Gugg odr i lau di arfula!“, „Huusegga“, „A'schlacho“, „Wolfa“. In jüngster Zeit „Räuber und Schandi“.

„Gouossa“

Ganz in Vergessenheit geraten ist „'s Gôuossa“, ein Spiel, bei dem auch die Erwachsenen mitmachten. Ein Baumast, der sich in drei Teile gabelte, so daß er abgeschnitten auf seine drei Beine gestellt werden konnte, wurde in einen Kreis von ungefähr einem Meter Durchmesser gesetzt. Dies war die Geiß („Gôuoß“) und derjenige Spieler, der sie aufzustellen hatte, war der Geißer („Gôuossar“). Etwa zehn Meter davon entfernt war die Abwurfstelle. Dort standen alle übrigen Spieler, von denen jeder einen Prügel in der Hand hielt. Nun trat der erste Werfer an, rief: „a Haus — und Gôuoß litt“ und warf seinen Prügel gegen die Geiß. Traf er diese, so daß sie umfiel, durfte er nach seinem Prügel laufen und ihn zurückholen. Dabei mußte er ihn aber am Orte, an dem er lag, dreimal der Länge nach umwenden und sagen: „Uuf und neodr und a Kratzatoloch!“ ehe er damit zur Abwurfstelle zurücklaufen durfte. Der Geißer jedoch trachtete, die umgeworfene Geiß so schnell als möglich wieder in den Kreis zu stellen. War ihm dies gelungen, durfte er den Werfer im Hin- und Rücklauf schlagen, was zur Folge hatte, daß der Geschlagene den Geißerposten übernehmen mußte. Immerhin hatte der Werfer auch die Möglichkeit, bei seinem Prügel stehen zu bleiben, bis ein anderer Spieler die Geiß wieder gefällt hatte, um dann zu versuchen, ungeschlagen an die Abwurfstelle zurückzugelangen. War kein Werfer mehr an der Abwurfstelle, denn nicht jeder Wurf traf das Ziel, wurde getauscht, und einer der Werfer mußte das Amt des Geißers übernehmen, das übrigens nicht ganz gefahrlos war, denn es kam auch vor, daß statt der Geiß der Geißer getroffen wurde.

„Krüzarla“

Um die Jahrhundertwende wurde dieses Spiel nicht nur von älteren Buben, sondern auch von Erwachsenen gespielt. Man warf mit kleinen Geldstücken (früher waren es Kreuzer, daher der Name „Krüzarla“) gegen eine Hauswand oder möglichst nahe an einen in die Erde gezogenen Strich. Wer der Hauswand oder dem Strich mit seinem Geldstück am nächsten kam oder gar einen „Leuönolar“ (wenn das Geldstück an der Wand lehnte) hatte, durfte alle Geldstücke zusammennehmen und als erster „hütschla“ oder „gupfo“. Beim „Hütschla“ schüttelte er die Geldstücke in den hohlen Händen durcheinander und ließ sie dann auf die Erde fallen. Alle jene, die Adler oder Kopf nach oben lagen, durfte er behalten; die übriggebliebenen (Zahl nach oben) sammelte der Zweite und machte dasselbe. So ging es weiter bis zum Letzten, der gewöhnlich „rommo“ durfte, d. h., er durfte den Rest abräumen und behalten. Anders war es beim „gupfo“. Der Sieger legte die Geldstücke, Zahl nach oben, in Form einer Beige, „Hüüfli“ genannt, auf den Boden und warf dann mit einem Stein in der Größe eines Hühnereis, oft auch größer, aus nächster Nähe darauf. Alle jene Geldstücke, die nach dem Wurf den Adler bzw. das Münzbild nach oben zeigten, durfte er behalten und überdies weiter „gupfo“, bis er einen Wurf tat, der keines der Geldstücke zu kehren vermochte. Dann kam der Zweite an die Reihe usw. Den Stein nannte man „Gupfar“. Die Buben trugen diesen stets im Hosensack bei sich.

"Klückarla"

(Kügelchenspiel, Murmeln oder Marmeln) Das beliebteste Spiel bei den Lustenauer Kindern war das „Klückarla“. Es wurde auf verschiedene Arten gespielt; „Setzo“: Dabei wurde eine Anzahl „Klückar“ gesetzt, die man von einer bestimmten Abwurfstelle, irrtümlich Ziel genannt, treffen mußte. Gewöhnlich galt nur „kletscho“, (d. h., die rollende Kugel mußte die gesetzten direkt anschießen) es sei denn, es wurde zuvor „kletscho“ und „haa“ (auch mit den Fingern erspannen mögen) vereinbart. Ein direkter Wurf aus der Luft auf die gesetzten „Klückar“, „Banggo“ oder „Bangga“ genannt, war nur selten erlaubt.

Beim „Wäogla“, das man unterwegs spielte, konnten sich zwei oder mehrere Kinder beteiligen, so daß oft 10 und mehr „Klückar“ im Spiele standen. Ergab sich dabei für eines der Spielenden eine besonders gute Position, nannte man dies „a Gäx“.

Eine beliebte Spielart war „'s Löchla“, so genannt, weil man die „Klückar“ nach einer bestimmten Spielregel in ein kleines, in die Erde gegrabenes Loch werfen oder schieben mußte.

Auch „drucko“ wurde gespielt. Hiebei nahm man eine Anzahl „Klückar“ in die geballte Faust und fragte: „Wüvl hanni?“ Um es dem Mitspieler leichter zu machen, durfte er zuvor auf die Finger, die die „Klückar“ verbargen, drücken. Erriet er es dann, hatte er gewonnen,- erriet er es nicht, mußte er dem Fragenden die Differenz in „Klückern“ ausfolgen.

„Spatzoseckla“

Ein nicht minder beliebtes Spiel der Buben und Mädchen war „'s Spatzoseckla“. Wird es auch in jüngster Zeit nur mehr selten gespielt, ist es bei der Bevölkerung doch noch so bekannt, daß es einer Erklärung nicht bedarf. [Es scheint sich um "Kippel-Kappel" zu handeln, mit einem Schlagstock (lang und dünn) und ein an beiden Enden zugespitztes Hölzchen (klein und dick).

Reifenspiel

Reifen schlagen und Reifen schieben („Schaltrôuofa“) war um die Jahrhundertwende für die Buben ungefähr das, was ihnen heute das Fahren mit Trittrollern oder das Radfahren ist. Früher waren es Reifen von Fässern, „Krutstanda“ und „Gelta“, später die Felgen der Fahrräder, die den Kindern als Spielzeug dienten.

Besonders beliebt war eine Zeit lang der „Schaltrôuof“, ein Reifen aus dickem Draht, der mit einem eingeschlungenen Führungsdraht geschoben und gelenkt werden konnte. Alljährlich veranstalteten die Schulbuben unter sich „Wettrôuofa“, wobei auch kleine Preise zur Verteilung gelangten.

Ballspiele

Die Mädchen hatten immer große Freude am „Hutschoballa“, wie der Volksmund das Spielen mit dem kleinen, bunten Gummiball nannte. Sie kannten verschiedene Arten von Spielen: „10 Läobo“ (Leben), wobei nach jedem Fehler (Fallenlassen) eines abgezogen wurde, ferner „ouomôl fallo lau“, „tätschla“ usw.

Heute spielen die Mädchen lieber Völkerball, Korbball oder Handball und überlassen das „Hutschoballa“ den Kleinen.

Die Buben spielten nach der Jahrhundertwende in den Schulpausen — Turnstunden gab es damals noch keine — mit Vorliebe Schlagball und Raffball.

Als dann König Fußball auf den Plan trat, mußten die andern Spiele das Feld räumen oder doch in den Hintergrund treten. Im Jahre 1907 wurde der F. C. Lustenau als erster Fußballklub des Landes gegründet. Das bis dahin hier unbekannte Fußballspiel fand bei der Bevölkerung großen Anklang, so daß ihm gar bald jung und alt huldigten. War auch das Resultat des ersten Wettspiels gegen den Fußballklub Innsbruck nicht gerade ermutigend (Lustenau verlor das Treffen o : 11), so dauerte es doch nicht allzulange, bis der F. C. eine ausgezeichnete „Elf“ ins Feld zu stellen vermochte. Mannschaften aus Zürich, München, Wien, Paris usw. spielten in Lustenau, und unsere wackeren Mannen erkämpften manch schönen Sieg.

Mehrere Jahre später gründete der Turnerbund Lustenau eine Fußballabteilung, aus der die heutige, äußerst spielstarke „Austria“ hervorging, die in der Arlbergliga schon manche Jahre einen der vordersten Plätze einnimmt. Auch der aus dem Turnverein Jahn hervorgegangene F. C. Haag brachte es seinerzeit zu schönen Achtungserfolgen, während es dem Arbeiter-Turn- und Sportverein leider versagt blieb, eine nennenswerte Höhe zu erreichen.

Es ist begreiflich, daß durch die sportlichen Großtaten und Erfolge auch die Jugend mitgerissen wurde und sich so sehr für den Fußball begeisterte, daß sie die ändern Spiele vergaß und selbst in jeder „Hoschtat“ Fußball spielte.

Natürlich gab es noch viele andere Kinderspiele wie „Hälmleziecho“, „Blinde Kuh“, „Fuchs, Fuchs us om Loch“, „Suutriebo“, „Meinhausa“, „Templa“, „Hölzlijucko“, „Jucksôuola“ usw., doch würde es zu weit führen, alle zu erklären.

Quelle: Brauchtum, Sagen und Chronik, Hannes Grabher, Lustenau 1956, S. 115ff