Galliküng

In früherer Zeit, als unser Land noch schwach besiedelt war, trieben darin Wegelagerer ihr Unwesen. Ein gefürchteter Straßenräuber war Gallus Küng, im Volksmund „Galliküng“ geheißen. Er war ein großer, starker Mann mit schwarzen Haaren und struppigem Bart, der sein sträfliches Handwerk hauptsächlich in der Umgebung von Lustenau ausübte. Kein Mensch wußte, woher er kam; niemand konnte sagen, wohin er ging; er tauchte immer dort auf, wo man ihn am wenigsten vermutete. Gerne hielt er sich in den umliegenden Wäldern auf, doch das sicherste Versteck fand er im wildverwachsenen Weidengebüsch und mannshohen Schilf der Rheinauen. Die Knechte des Grafen von Hohenems wie auch der Gemeindeweibel suchten längst nach dem wilden Gesellen, doch er verstand es immer wieder, sich vor den Häschern zu verbergen oder, wenn sie schon auf seiner Spur waren, ihnen zu entkommen.

Eines Tages hielt er sich in der Kapelle im Feld (Lorettokapelle) versteckt. Als der „Kappelimeßmer" zum Aveläuten kam, gewahrte er hinter einem Vorhang das bärtige Gesicht des Räubers. Er erschrak darob dermaßen, daß er sich nicht getraute, Lärm zu machen, sondern sich vor dem Mordgesellen in einen Paramentenschrank verkroch. Dort verblieb er so lange, bis ihn der Hunger zwang, sein Versteck zu verlassen.

Die Troßknechte des Grafen aber hatten inzwischen Galliküng bereits festgenommen und der Obrigkeit ausgeliefert. Diese entschied sich für ein Gottesgericht. Der Delinquent hatte sich mit gespreizten Beinen auf einen „Pflugredling“ zu setzen und so von der Lustenauer Kirche bis zur Achbrücke zu fahren. Vermochte er sich in dieser Stellung, die auf die Dauer sehr schmerzhaft war, bis zum Achsteg aufrecht zu halten, wurde ihm nach damaligem Recht und Brauch das Leben geschenkt. Verließen ihn aber die Kräfte früher, so daß er vorher vom Pfluge sank, deutete man dies als Zeichen seiner Schuld und er wurde hingerichtet. Vor ihm soll diese Tortur noch keiner bestanden haben. Galliküng aber war ein wilder Geselle mit einer bärenstarken Natur. Da er nur selten ein Dach über seinem Kopfe gehabt hatte und stets Wind und Wetter ausgesetzt gewesen war, konnte sein Körper gar manche Unbill ertragen. Er setzte sich rittlings auf den Räderpflug, und das eigenartige Gefährt zog, von einer johlenden Menge begleitet, der Achbrücke zu. Schon waren drei Viertel des Weges zurückgelegt und der gefürchtete Wegelagerer saß noch immer aufrecht auf dem Pflug wie ein König auf seinem Thron. Als man sich der Brücke näherte, glaubten alle, daß er die harte Prüfung bestehen und das Leben gewinnen werde. Doch plötzlich kam eine große Aufregung in die Menge. — Einen Steinwurf vom Ziel entfernt brach er zusammen. Das Gottesgericht hatte entschieden und Galliküng wurde kurz danach auf dem Galgenfeld hingerichtet.

Daß dieser Sage die urkundlich bezeugte Geschichte des Räubers und Mordbrenners Hans Beck, genannt Hotterer, zugrunde liegt, ist kaum anzunehmen; immerhin sagt sie aus, daß damals solche Gesellen in unserer Gegend tatsächlich ihr Unwesen trieben. „Hotterer" wurde im Jahre 1475 von einigen Lustenauern beherbergt. Zur Strafe dafür kamen 300 St. Galler über den Rhein herüber, verbrannten die Häuser der Hehler und führten diese gefangen weg. Vgl. Joseph Bergmann, die Edlen von Embs zu Hohenems, Wien 1860, 8.23.

Quelle: Brauchtum, Sagen und Chronik, Hannes Grabher, Lustenau 1956, S. 19f