Der Drachenreiter

Aus Altachs Sagenwelt

Einem Beitrag „Aus dem Sagenschatz der Heimat" des unvergeßlichen Prof. Dr. J. Gasser ist die Sage vom „Drachenreiter" entnommen. Der Autor bekam die Geschichte mehr als einmal aus dem Munde einer alten, besonders sagenkundigen Stickerin zu hören.

Er kommt zur Zeit des Hochwassers oder gewaltiger Föhnstürme, die namentlich im Frühjahr das erstere bedingen. Er reitet seinen Drachen von Babylon aus um die Welt und muß wieder nach Babylon zurückkehren, allwo er ihn in die Löwengrube hineinsprengt. (Gemeint ist wohl die Löwengrube, von der die Bibel im Buche Daniel erzählt.) Gelingt es ihm, dem Reiter, dortselbst noch rechtzeitig abzuspringen, so ist er gerettet, andernfalls aber ist er ewig verloren. Soweit die eigentliche Sage.

Einst kam nach der Mühle, einer uralten Schenke im Unterdorf zu Altach, ein sonderbarer Gast. Er aß und trank und fragte nach der Schuldigkeit. Der Wirt verlangte den gewöhnlichen geringen Betrag für die Zeche und erhielt ihn. Der fremde Gast aber bedeutete ihm, daß er diesmal ein, großes Glück verscherzt habe. Hätte er eine beliebige Summe Goldes vom ihm gefordert, so hätte er sie auch bezahlen müssen, denn er sei ein Drachenreiter. Den Drachen habe er drunten in der Rheinau an einer Eiche angekettet.

Nun stach aber die in der Schenke anwesenden Bauern der Wunder (die Neugier), und sie begehrten, den Gast an den Rhein zu begleiten und den Drachen zu sehen. Darauf habe der fremde Mann erwidert, er möchte ihnen ihren Wunsch von Herzen gern erfüllen, doch gehe dies nicht an, denn werde der Drache von ihnen, den Bauern, zuerst gesehen, so sei dies des Drachen Tod; sehe aber umgekehrt der Drache sie, die Bauern, zuerst - und das sei das Wahrscheinliche - dann sei es um sie geschehen; denn sein Blick allein schon wirke tödlich. Auf das hin hätten es die Altacher vorgezogen, daheimzubleiben und auf die Drachenschau zu verzichten.

Als einst an einem Abend diese Geschichte wieder aufs Tapet kam, fügte der Großvater - er war 1815 gestorben - erklärend hinzu, er habe in seinen jungen Jahren des öfteren von solchen Drachenreitern gehört, und einmal habe der selige Pfarrer Berkmann gesagt, das seien „fahrende Schüler" gewesen. Der gute „Ähni" wußte wohl nicht, was man unter einem fahrenden Schüler versteht, ich wußte es damals auch nicht; aber später habe ich es gelernt und da ist mir ein Licht aufgegangen. Und dir, lieber Leser, geht jetzt wohl auch eines auf!

Quelle: Aus Altachs Sagenwelt, Vorarlberger Nachrichten, 45, Nr. 23, 2.9./3.9.1989, S. VIII/3, freundliche Zusendung von Franz Elsensohn Juni 2003