Die Angst

Da ist einmal ein Schulbub in später Nacht ganz allein durch den Kluserwald nach Götzis herunter. Er bekommt Angst vor dem Klushund, denn alles ist so einsam, so totenstill und dunkel. Und um schneller aus dem Bereich des Klushundes zu kommen, fängt er zu laufen an. Aber kaum tut er einige Sprünge, so läutet und klingelt es irgendwo. „Das ist der Klushund!“ denkt der Bub und läuft, was er laufen kann. Aber je ärger er springt, desto lauter läutet und klingelt es in seiner Nähe, unmittelbar hinter ihm her. „Jetzt ist Matthäi am letzten“, geht es dem Buben durch den Kopf und schon meint er, der Spuk sitze ihm alle Augenblicke auf dem Rücken. Kreideweiß und erschöpft kommt er nach Hause. Und da hat auch das Läuten aufgehört. Und wie er zu Bett geht, da fällt ihm ein kleines Glöcklein aus dem Hosensack heraus, das er mit sich getragen und an das er in seinem Schrecken nicht mehr gedacht hatte.

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Drei junge Burschen, die ich gut kenne, sind einmal um die Weihnachts- oder Neujahrszeit von Götzis ins Oberland, um den Christbaum bei den Bekannten anzuschauen und 's Neujahr anzuwünschen. Natürlich hat man ihnen aufgewartet mit „Kriasiwasser“ und „Birobrot“ und Likör, und die drei haben einen Humor bekommen wie die Lerchen. Erst in dunkler Nacht sind sie auf den Heimweg und in den Kluserwald gekommen. Kein Mensch war mehr herum, alles war still und ruhig. Da glaubten die drei, den Klushund foppen zu müssen. Üppig wie sie waren, schrien sie in den Wald hinauf: „He, Klushund, kumm aha, wenn d' Schneid heascht!“ Der Klushund kam nicht, wohl aber kam etwas anderes. Wie sie nämlich spät in der Nacht nach Götzis kommen, hat der eine von ihnen einen Kopf wie ein Bienenkorb und starkes Fieber. Er mußte gleich ins Bett, war acht Tage krank und mußte den Arzt holen. Die anderen erzählten natürlich daheim, wie sie den Klushund gefoppt hätten, und da schrieben alle die Schuld an der Krankheit des einen dem Klushund zu. Und sie behaupteten steif und fest, der Klushund habe ihn „angeweht“.

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Ein Metzgermeister von Götzis ging einmal über St. Arbogast hinauf ins Oberland, um Vieh einzukaufen. Er verspätete sich dabei und trat erst spät den Heimweg an. Es war schon Nacht, als er den Kluserwald betrat. Er ging auf der dunklen Straße herab bis zum Kluser Mösle. Dort konnte er auf einmal nicht mehr weiter, obwohl dort die hellste Stelle war. Er ging rechts und ging links und suchte überall durchzukommen; aber es ging einfach nicht. Irgend etwas hielt ihn auf und versperrte ihm den Weg. Schließlich aber kam er doch wieder zuwege und fand durch den dunkeln Wald herunter nach St. Arbogast und Götzis. Er erzählte den Vorfall daheim, und da sagten sie ihm, daß das niemand anders als der Klushund gewesen sei. Seither ging er nie wieder bei seinen Einkäufen nachts durch den Kluserwald, sondern machte immer lieber den weiten Umweg über den Sattelberg zur Reichsstraße herab.

Quelle: Heimat, 6. Jg. (1925), S. 225, S. 55, S. 54, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 220f