DAS MÜTTERLEIN AUF DER SPINNSTUBET

Als in Dornbirn noch an den langen Abenden die Nachbarn in den Spinnstubeten zusammenkamen - das Weibervolk mit Kunkel und Rädle, die Mannsleute mit der Tabakspfeife - da kam in eine solche Stubet all Abend ein altes Mütterle und setzte sich mit seinem Spinnrad in das hinterte Eck und spann, bis alle - oft in später Nacht - wieder heimgingen. Das Weible mischte sich nie in ein Gespräch, mochte noch so viel erzählt, gelacht und gescherzt werden. Keiner kannte eigentlich das merkwürdige Weible, aber man ließ es unbefragt kommen und gehen.

Unter den Mannsleuten war ein junger Bursch, der Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hatte. Während seine Altersgenossen sich mit den jungen Motla unterhielten, dachte er, ich muß doch wissen, was mit dem alten Weible ist. Warum muß er immerzu in ihren Winkel schauen? Das alte Mütterle schaut so lieb und mild und dann ist wieder etwas in ihrem Gesicht, als trage sie einen schweren Kummer.

Das ging so drei Jahre lang. Wieder waren alle in dei Spinnstubet versammelt, und der Bursch schaute still und versonnen der alten schweigsamen Spinnerin zu. Da ward er auf einmal gewahr, daß sie das Spinnrad verkehrt herum drehe. Er setzte sich zu ihr, schaute eine Weile zu und fragte dann: "Immer links um Mütterle?" Da fuhr ein heller Strahl über das verhärmte Gesicht der Alten. Sie stand schnell auf und bedeutete dem Burschen mit freundlicher Miene, sie zu begleiten. Schweigend wanderten die beiden in die stille Nacht hinaus. Die Alte schritt voran, über Acker und Wiese, bis sie zu einem Busch kamen, der einzeln auf dem Felde stand. Da sagte das Weible: "So entsetzlich viel Jahr hab ich gesponnen und immer links um, und erst du hast es endlich inacht genommen zu meinem Glück. Dafür tue ich dich auch lohnen. Grabe morgen an dieser Stelle da. Was du findest, magst du getrost als dein Eigentum betrachten.- Nach den Worten war sie verschwunden. Der gute Bursche aber hob am nächsten Morgen einen Hafen voll Taler aus der Erde. Der Schatz brachte ihm Glück. Im hohen Alter starb er als der reichste Bauer im Dorf.

Die alte Spinnerin war auch einmal jung gewesen und wird auf mancher Stubet gewesen sein, auf der es vielleicht nicht ganz sauber herging. Ich meine, die Sache könnte von da her kommen.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 61, Seite 81