Die List der Belagerten

Einmal wurde die Nüburg lang und hart belagert. Da hatten Herren und Gesinde und die armen Flüchtlinge, die dort Schutz gefunden, schwere kümmerliche Tage. Schließlich war ein Viertel Gerste und eine magere Kuh das einzige, was sie noch besaßen, um den Hunger zu stillen. Sie sahen, es war kein Auslangen mehr, sie mußten sich dem Feinde ergeben.

„Ei“, meinte da eine alte Magd, „auf das Viertel Gerste kommts wohl nimmer an. Streut's der Kuh vor und schlachtet sie und werft den vollen Magen über die Mauern - vielleicht daß die unten dann glauben, wir hätten noch Vorrat auf lange!“

Sie taten so, und bald war die Freude auf der Nüburg groß. Denn als die feindlichen Krieger den Kuhmagen voll Gerste fanden, zeigten sie ihn einander mit langen Gesichtern und zogen ab.

Der Rat der Magd hatte das Schloß gerettet, und noch heute erzählt das Volk von ihrem klugen Sinn.

Quelle: Zentralarchiv der deutschen Volkserzählung, Marburg, 180003, Anna Hensler, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 109f