Der Mühlibacher Zwingherr

Der Zwingherr von Mühlibach ritt einst mit zwei Jägern auf die Sauhatz in die Rheingefilde. Hier stößt er auf einen Eber; aber dieser wirft seinen Jagdhund und entkommt in den Wald. Wütend über den Mißerfolg kehrt der Ritter nachts heimwärts. Beim ersten Bauernhaus in Mühlibach heißt er durch Klopfen am Fensterladen das Bäuerlein herauskommen und herrscht es an:

„So Bürle, eotz holast im Stall di Roß - Gnot lädst dine Su uf an Wage, - du füohrst se glai uffe zu üso Schloß - Hut will-e no Schwinis im Mago.“

Das erschreckte Bäuerlein wendet ein, die Sau habe er bereits dem Händler zur Schuldenabtragung versprochen, und auch Weib und Kinder bitten um Rücksichtnahme. Es nützt nichts, und er muß der Gewalt weichen, schirrt seinen halbblinden Gaul an und lädt die Sau auf den Wagen. Beim Büchel am Bürgle, wo man einen Augenblick Rast macht, läßt sich ein Eulenruf vernehmen; darob erschrickt des Bauern Gaul und geht mitsamt dem Wagen durch. Der Zwingherr, in der Meinung, sein Leibeigener wolle entfliehen, sprengt ihm nach und treibt ihn mit Schlägen hinauf zum Schlößchen, wo er ihn ins Verließ wirft. Während der arme Gefangene hier mitten unter Kröten und Ottern sein trauriges Geschick beklagt, zecht der Zwingherr oben mit seinen Kumpanen im Saal und, um seinem Übermut die Krone aufzusetzen, verfügt er sich noch nachts mit dem Schweinsbraten in den Keller, um ihn dem Bäuerlein höhnisch unter die Nase zu halten und an seiner Qual sich zu weiden. Siehe da, beim Schein der Laterne bemerkt dieses im Boden einen Spalt. Und wie der Peiniger wieder fort war, macht sich unser Gefangener sofort ans Werk und gräbt und gräbt; das feuchte brüchige Gestein gibt nach, und auf einmal steht er in einem langen dunklen Gang. Im Weitergehen stößt er an eine Stange, daran ein schmiedeeisernes Kästchen hängt; beides nimmt er mit und tastet sich nun durch den Gang bald aufwärts, bald abwärts, viele Stunden lang, bis auf einmal durch eine schmale Ritze ein Sonnenstrahl ihm entgegenblinkt. Und es dauert nicht lange, da gibt es einen Krach: Das morsche Gewölbe ist eingestürzt, und das Bäuerlein ist in Freiheit. Wie es freudig heimeilt, tut sich auf einmal der Deckel des mitgenommenen Kästchens von selber auf, und da blinken ihm viele goldene Taler entgegen. Gerade kommt es noch rechtzeitig nach Hause, um den Händler, der schon pfänden wollte, an seinem Beginnen zu hindern; es zahlt von dem Schatze seine Schuld, und mit dem übrigen gibt es in der Folge an die Armen von weit und nah Almosen. Dem grausamen Zwingherrn aber ist es alsbald noch schlecht ergangen: Im Speck des geraubten Schweines hat er sich einen Bandwurm aufgelesen und „Vordorbo und gstorbo do Zwinghärr ist - Muoß goasta im Kearloch unebig.“

Quelle: Andreas Ulmer, Die Burgen und Edelsitze Vorarlbergs und Liechtensteins, Dornbirn 1925-1931, S. 441f, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 81f