Der Brenner

Da ist einmal der „Brionnar“ (Brenner). Vor mehr als einem Menschenalter soll er das letzte Mal gesehen worden sein. Das war noch, ehe die von den Dornbirner Bauern anfänglich mit nicht wenig Schrecken betrachtete erste Eisenbahn durch die Felder fuhr und zu jener Zeit, als der schrille Pfiff der Lokomotive in unserer Gegend noch unbekannt war. Damals gab es noch keine Bahnhof - oder, wie sie heute heißt, Adolf-Rhomberg-Straße. Das letzte Haus, das bereits vor lange Zeit abgebrochen wurde, stand noch in der Nähe der jetzigen Dornbirner Sparkasse quer über die Straße.

Der „Brionnar“ war ein Irrlicht, das „im Graben“ - heute das Gebiet Altweg, Schlachthaus, Bahnhof, bis herauf zum früheren Hotel Rhomberg umfassend - sein Unwesen trieb, ein grünschimmerndes Licht, das sich in dieser Gegend schleichend, dann aber auch wieder sprungartig bewegte.

Da kam vor Jahrzehnten ein Bregenzerwälder Bäuerlein und kaufte sich in der Vorderachmühle ein Haus, das er mit seiner Familie bezog. Beim Einziehen soll eine geschwätzige Nachbarin zu ihm gesagt haben: „I ka de nit vrsto, daß du i das hus zücho mast.“ Und als der Wälder erstaunt nach dem Grund fragte, soll er zur Antwort bekommen haben: „Döt ischt's Wuotas dahuom. Z'nacht kascht a Liechtle seaha und. . .“

Doch der rüstige Bauer schenkte der alten Nachbarin keinen Glauben. Er lachte vielmehr und fühlte sich in seinem neuen Heime recht wohl. Es war doch etwas anderes, hier in der Ebene, als im Wald drinnen an den Hängen oben.

Doch das Wohlfühlen kam über den Anfang nicht hinaus. Später soll er die Warnung der alten Nachbarin bitter zu verspüren bekommen haben.

Das „Wuotas“ begann sein Unwesen zu treiben. Auf rätselhafte Weise verendete dem Bauern eines Tages das schönste Rind und kurze Zeit darauf ein Schwein.

Doch nicht genug damit. Die Ernte mißlang - und dann starb ihm auch noch ein Kind.

Als dieses noch lebte, soll es in den letzten Tagen oft ängstlich zu seinen Eltern geflüchtet sein und geschrien haben: „Schou Dätta, döt isch ar! Siohst-o? Jetz kut-ar, schou!“ Doch der Vater konnte nichts sehen.

Eines Nachts schlief ein Tiroler bei dem Bauern. Anderen Tages aber zog er davon und sagte zu dem Wäldler: „Bauer, bei dir hab' ich das letzte Mal geschlafen. Du hast den Butz im Haus!“

Als dann auch das zweite Kind des Bauern erkrankte, vergingen keine acht Tage mehr, da packte der Wäldler sein Hab und Gut zusammen und wanderte wieder in seine Heimat zurück.

Quelle: Von Geistern und Irrlichtern, in: Feierabend, 16. Jg. (1934), 1. Folge, S. 5f, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 200f