Der Offizier als Gespenst

Ein ausgedienter Soldat, Giselbert mit Namen, erzählte oft von einer Begebenheit, die sich in der St.-Anna-Kaserne in Bregenz, während er beim Militär diente, abgespielt haben soll. Die Kompanie, welcher er zugeteilt war, befehligte ein Leutnant, dem es das größte Vergnügen bereitete, zusehen zu können, wenn ein Soldat geprügelt wurde. Da jedoch selten Ursache vorhanden war, diese harte Strafe zu verhängen, hatte er eine List ersonnen. Um Mitternacht hüllte er sich in ein Fell, setzte einen aus Pappendeckel verfertigten Kopf auf, aus welchem er die Form von Augen, Mund und Nase ausgeschnitten hatte, und stellte ein Licht in den Kopf. So ging er durch die Gänge und näherte sich den Wachen. Jedesmal, wenn ihn ein wachestehender Soldat erblickte, floh dieser entsetzt davon. Der Leutnant legte dann schnell seine Verkleidung ab, kam sogleich in Uniform daher, zu der Stelle, wo der Soldat Wache stehen sollte, und traf ihn natürlich nicht auf seinem Posten. Der Soldat wurde aufgeschrieben und kam auf die Prügelbank. - Einmal aber hat dem Leutnant ein beherzter Soldat diese Passion für immer verleidet. Als einst der als Geist verkleidete Leutnant wieder einem Wachtposten erschien, rief ihm der tapfere Soldat dreimal „Halt!“ zu. Als der „Geist“ nicht darauf achtete, schoß ihm der Soldat eine Kugel durch den Kopf.

Quelle: Adolf Dörler, Märchen und Schwanke aus Nordtirol und Vorarlberg, in: Zeitschrift f. Volkserzählung f. Volkskunde 16 (1906), S. 296, Nr. 39, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 102f