Der Schmittenbutz

In alten Zeiten stand in der Schmitten, das ist die Landstraße vom alten bis zum neuen Friedhof in Bludenz, nur ein Haus, nämlich eine Huf- und Wagenschmiede.

Dort hauste ein Butz, ein großer, über und über schwarzer Mann, aber nicht zum Fürchten. Untertags hockte er gewöhnlich in einem Winkel des Vorhauses und sann trübselig vor sich hin. In der Nacht sah man ihn auch außerhalb des Hauses; der einsame Fußgänger bekreuzigte sich und floh davon. Nicht so zwei übermütige Nachtbuben! Sie spotteten des Butzes und wurden eines Abends einig, dem schönen Kirschbaume neben der Schmitten, der voll reifer Kirschen war, einen nächtlichen Besuch zu machen. Eben saß jeder auf einem Dolder und schmatzte an der Handvoll „Krise“ (Kirschen), da kam schon der Butz unter den Baum und

dräute mit seiner Faust empor. „Wart, ich will dich schulen!“, rief der eine Bursche keck und sprang vom Dolder herab, dem Butz gerad auf den Rücken. Der Schmittenbutz aber packte den Frevler geschwind an den Beinen und trug ihn rittlings bis ins Staudenäule hinab. Dort fuhr er mit dem Burschen so lange durch die Stauden hin und her, bis diesem die Kleider in Fetzen vom Leibe hingen. Dann warf er ihn in einen Dornhag und sagte: „Das nächste Mal hört die Fahrt nicht eher auf, bis dir die Kutteln an den Stauden hängen.“

So, von nun an hatten auch die Nachtbuben Respekt vor dem Schmittenbutz! Der Schmied aber schätzte den Butz als Nachtwächter, und die Hausfrau war froh, daß ihr der Butz manchmal beim Kochen half, wenn's schon Mittag läutete und noch kein Feuer im Herd brannte.

Einmal geschah es, daß der „Sani Klos“ ein kleines Kindlein ins Schmittenhaus brachte. Leider war das Kind vom ersten Tage an krank, und die Mutter war mit der Hausarbeit und Kinderpflege überladen. Da übernahm der Butz die Wartung des Kindes mit einem Geschick, worüber alle Leute staunten. Er legte das Kind trocken, gab ihm Milch, Mus oder Tee, spitzte den „Schlotzer“ (Lutscher, Sauger), schaukelte die Wiege, und manchmal sah man, wie er in der Nacht am Mühlebach die Windeln wusch. Aber alles war umsonst - das Kindlein starb. Als die Leiche in der Stube aufgebahrt war, trat der Butz herein - und war schneeweiß. Er wandte sich zu den traurigen Eltern und sprach feierlich: „Ich war im Leben ein hartherziger Bauer und habe die Milch lieber meinem Ferkele in den Trog geschüttet, als daß ich sie den hungrigen Kindern armer Leute gegönnt hätte; nun habe ich an eurem Kinde meine Schuld sühnen dürfen und bin erlöst.“ Dann verschwand der Schmittenbutz wie ein weißes Wölklein, das von der Sonne aufgelöst wird.

Quelle: Holunder, 2. Jg. (1924), Nr. 41, S. 1, (vom Holdersepp), zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 198f