247. Das Heidenglöcklein in Tisis

Wo das hügelige Gelände von Tisis schroff und felsig zum Riedgrund abfällt, steht inmitten verwitterter Friedhofmauern ein altehrwürdiges Kirchlein. Im schlanken viereckigen Turme mit dem Satteldach hängt als mittelgroße der drei Glocken das „Heidenglöcklein". Die Sage erzählt: In uralter Zeit war das braune Ried, über das die Wildenten flattern, ein weiter See und der Fels ragte steil hinein. Am äußersten Vorsprung stand ein kleiner Göttertempel. Dahin fuhren die wilden Heidenleute in Kähnen rings vom Gestade. Sie brachten ihre Opfer in großem kupfernen Kessel dar und feierten ihre Feste, obwohl die Heilsbotschaft bereits verkündet worden. Einst aber am Christtage, als sie nächtlicher Weile wieder ein Gelage hielten, stürzte der Fels jäh ab und das Wasser verschlang den Tempel und die Heidenleute. Als frühmorgens Christen hinkamen, fanden sie nur den großen Kupferkessel am Schrofen hängen. Da bauten sie die Kirche, die noch jetzt mit grauem Gemäuer weit über das Tal hinausschaut. Aus dem Opferkessel gössen sie ihre erste Glocke, daß sie ihnen zum Gottesdienste läute. Das „Heidenglöcklein" heißt sie bis auf den heutigen Tag.

Im Laufe der Jahrhunderte schwand der See mehr und mehr und Streue bedeckt nun die öde Strecke. Doch am Feldbruch ist eine Stelle, wo der Grund jedem Tritte weicht. Im Winter sieht man sie wie einen schmalen schwarzen Streifen. Es ist das „bodenlose Grüblein", wo der Heidentempel begraben liegt.

Von der alten Kirche in Tisis, zwischen Feldkirch und Mauren, erzählt man auch, daß die Fuhrleute ihre Pferde nicht vorbeibringen.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 247, S. 144