220. Am Sonntag genäht
Erker einer früheren Stickerei  © Berit Mrugalska
Erker einer früheren Stickerei in Klaus, Vorarlberg
die Symbole Nadel und Faden sind deutlich erkennbar

© Berit Mrugalska, 18. Oktober 2005

Früher fand sich im Oberland, so erzählt Hedwig Hensler, fast alljährlich in jeder Gemeinde ein Häuflein von sechs bis zwanzig zueinander, die zu Fuß nach Maria Einsiedeln wallten oder nach Weingarten über dem Bodensee. Nicht Mühsal noch Entfernung hielt sie ab. Fromme Mütterchen oder Basen waren dabei, auch einige Männer, die solchen Bittgang für Gottes Hilfe versprochen hatten, Burschen und Mädchen. Sie grüßten auf dem weiten Wege Gott und Maria in vielen Rosenkränzen und dem ändern noch älteren Wechselgebete „Heilig, heilig" und „Ehre sei". Das Mütterle in der dunklen Wolltracht, dem großen Halstuche und der kostlichen Pelzhaube mit grünem Boden zählte dabei am langen „Nüster" von braunen „Buchsbotera", den Perlen mit Silberzierat. Die Burschen in den kurzen Lederhosen klemmten die schwarzseidenen Zipfelkappen unter den Arm oder steckten sie wohl gar bis zum Troddel in einen Sack des braunen Tschopens oder weißschafpelzenen „Wämmasle". Die Mädchen aber ließen die roten Korallenkränze durch die Finger gleiten und trugen den schönsten Sonntagsstaat: große, lichtblaue Schöße auf den dunklen, weiten Röcken, das geblümte Leible unter dem dunklen, am obern Rande mit blauer Seide besetzten Tschopa, das lichtblaue Bänder über dem Mieder zusammenhielten.

Straßenansicht  © Berit Mrugalska
Straßenansicht der früherer Stickerei in Klaus
© Berit Mrugalska, 18. Oktober 2005

Zu Urahnas Zeit, am Christihimmelfahrtsfest, fand sich in Klaus wieder so ein Trüpplein zueinander und bewundernd erschaute die Urschel eine teure Seidenschürze an ihrer Gespanin und rief: „Nei, dine Schnitzbäs ist die allerbest!" Sie wußte ja, daß deren gute Gotta erst gestern das Seidentuch in der Stadt gekramt hatte. „Und du hast 's so flink am Firobat i dr Nacht noch gnäit!" Die Marilis schwieg und schaute verlegen zur Seite. Es war ihr nicht recht, daß man von ihrer Feiertagsarbeit wußte. — In frommem Gebete begannen sie ihre Wallfahrt und nach mancher Stunde kamen sie an den See. Ein blanker Spiegel der schönen Gotteswelt lag er da, gleichfarben und rein wie der klare, blaue Himmel oben, licht und glänzend ohne Trübung. Ein Fährmann nahm die Pilgernden zur Oberfahrt ins Boot auf. Doch so ruhig spiegelnd der See lag, nach dem ersten Ruderschlage trübte er sich weitum. Im Augenblick schoben sich Wolken am Himmel zusammen, Wind blähte das Segel, daß der Fährmann es raffte. Wellen schlugen an Wellen und sie brandeten und schäumten in den Kahn. Da rief voll Strenge der alte Schiffer: „Es wacht der See auf Gottes Dienst! Ihr habt Unrechtes an Euch, Wallfahrer, solches, was Ihr an einem heiligen Sonn- und Festtag vollbrachtet! Nie kommt sonst ein Sturm mit Gewalt so auf einmal!" Die Marilis erbleichte. Und als eine hohe Woge das Boot mit Macht fast auf die Seite zwang, band sie die Seidenschoß ab und warf sie ins Wasser. Da sänftigte sich der Sturm, die Wellen verrannen und bald lag der See wieder still wie vorher.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 220, S. 132f