81. Das Pfisterle kann bannen

Einst kamen zwei Bettler auf die Alpe Stongen. Sie baten um ein Stück Butter. Es war aber nur der Pfister in der Hütte. Der gab ihnen nichts. Da gingen sie frech selbst in den Keller. Ohne sich lange zu besinnen, bannte der Pfister die beiden an den Butterstollen. Wie angenagelt, standen die Bettler im Keller. Der Pfister stieg auf das Dach und jauchzte den Knechten. Erschrocken eilten die zur Hütte und fragten, was denn los sei. Lachend erzählte er ihnen, er habe zwei Vögel im Keller. Keiner konnte sie mehr loslassen, auch der Pfister nicht. Da besann sich der Küher schnell, lief nach Bezau ins Kloster und holte einen Kapuziner. Die beiden Bettler wurden befreit, dem Pfister aber wurde das Bannbüchlein auf den Händen verbrannt. Feierlich mußte er versprechen, nie mehr jemanden zu bannen.

Aus dem Pfister wurde später ein tüchtiger Senn. Als solcher war er einmal auf der Alpe Niedere tätig. Außer ihm waren noch drei Knechte da und ein Pfister. Im Laufe des Sommers mußte der Senn nach Dornbirn. Sein Weg führte über die Loose. Auf dem Heimweg hörte er auf der Paßhöhe ganz deutlich eine Kinderstimme jammern und klagen. Er ging näher hin. Da schrie die Stimme laut: „Senn, Senn, hilf mir, hilf mir." „Pfisterle, Pfisterle l" mehr brachte der Senn in seinem Schrecken nicht heraus. Zwei unbekannte Männer hielten den Pfister fest. „Wie kann ich ihm helfen?" überlegte der Senn. Da erinnerte er sich der beiden Bettler, die er damals auf Stongen an den Butterstollen gebannt hatte.

Nach kurzer Überlegung griff er zum gleichen Mittel und er sprach das alte Bannsprüchlein. Da standen beide bewegungslos unter einem Baum und gestanden die heimliche Entführung des Buben. In ihrer Angst bekannten sie auch deren Zweck, nämlich Christenblut zu trinken. Nach langem Bitten und Flehen ließ er die beiden Juden wieder laufen, denn jetzt wußte er auch den Bann zu lösen.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 81, S. 64f