86. Das Kreuz im Tempel

In Mellau, am Weg zur Kanisfluh, steht hinter dem Zaun an der Straße ein uraltes Christusbild. Ein alter Bauer hat mir die Geschichte davon erzählt.

In Mellau lebte vor Zeiten ein Küfer, der jede Katze plagte, die ihm über den Weg kam. Wenn er von der Nachtstubet heimging, war es ihm eine Passion, ein Kätzlein aufzustöbern und zu verfolgen. Da war er wieder einmal auf dem Heimweg und war gerade bis zum Tempel gekommen — so heißt eine kleine Häusergruppe bei Mellau —, da sah er, daß ihm Katzen nachkamen, und es wurden mehr und mehr, so daß er sein Heil in der Flucht suchte. Er lief heim, so schnell er konnte, kam aber nicht mehr dazu, die Haustür aufzumachen, und stürzte nur Hals über Kopf in seine Küferwerkstatt und stieß den Riegel vor. Die Katzen aber waren schon da und drohten, die Tür einzudrücken oder zum Fenster hineinzuspringen. Da tat der Küfer voll Angst das Gelübde, er wolle nie mehr ein Tier quälen und wenn er diesmal davonkomme, wolle er zum Dank bei den Häusern im Tempel ein Kreuz aufstellen. Und so ist es dann auch geschehen.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 86, S. 68