88. Der Karrenzieher

Ein herumziehender Schirmflicker und Korbflechter, Michael Welser mit Namen, kam mit seinem Wagen und mit Weib und Kind ins Dorf Mellau im Bregenzerwald. Hier baten sie einen Bauern, er möchte sie im Heu übernachten lassen. Der Bauer hatte auch ein Häuschen, das niemand bewohnen wollte, weil ein Geist darin umging. Drum sagte er zum Karrenzieher, er könne mit seiner Familie dort übernachten, wenn er sich vor Geisterspuk nicht fürchte, es sei schon Heu drin. Er setzte hinzu, wenn sie es in jenem Haus aushielten, schenke er es ihnen. — Der Korbflechter, ein Mann, der viele Jahre beim Militär gedient hatte und keine Furcht kannte, war froh, daß er mit den Seinen ein Obdach erhielt. Als er das Haus betrat, sagte er, wie immer, wenn er in eine neue Herberge kam:

„In Gottes Namen, i bitt' um d'Herbergl",

damit er vor Geistern Ruh habe. Dann breitete er ein Leintuch über das Heu und legte sich mit den Seinen zum Schlafen nieder. In der Nacht kommt dem Manne etwas über die Kopfnaht und macht:

„Hu, hu, hui"

Er sagt zu seinem Weib:

„Du, Käther, los, wia-n-as tuet!",

fürchtete sich aber nicht im geringsten. Die Käther hatte es auch gehört. Nun fragte der Mann den Geist:

„Bist zum erlöse?" —

„Hu", war die Antwort. —

„Ka de mi Wib erlöse?" —

„Hu." —

„Ka de des groß Kind erlöse"

— „Hu." —

„Ka de des klen Kind erlöse?"

— „Jo, mit am Vaterunser."

Sofort ließ man das kleine Kind ein Vaterunser beten, indem ihm die Mutter Wort für Wort vorsagte, da es das Vaterunser allein noch nicht beten konnte. Darauf der Geist:

„Jetz bin e erlöst im Gebet, jetz mächt e no im Geald erlöst si!"

— „Jo, host Geald?"

— „Jo, i ho Geald!"

— „Jo, jo, do ka-n-e de gwiß erlöse, säg bloß wo-n-as ist!"

— „l der Kammer under der Bettstatt ist a viereckigs alts Breatt, denn kunt a viereckigs neus Breatt, denn kunt a viereckige Iseplatte und under dear Iseplatte ist an Sennkessel voll Geald; i bi bei der und hilf der de Kessel uffar-lupfe, aber koa Wörtle rede dearfst derbei!"

Der Korbflechter machte sich sogleich daran, den Schatz zu heben und fand richtig den Sennkessel, der mit Silberstücken angefüllt war. Der Mann wollte den Kessel herauflupfen, doch wie er sich auch anstrengte, er rührte sich nicht vom Fleck — aber als der Geist endlich half, gings doch; schon hatte der Mann den Kessel halb aus der Grube heraus, da schaute er um, erblickte seinen Buben und rief ihm zu:

„Bring die groß holze Hundschüssel, zum 's Geald ussarschöpfe!"

— Sofort sank der Kessel in die Tiefe und nichts mehr war von ihm zu sehen. Den Geist aber hörte man jammern, jetzt müsse er tausende von Jahren warten, bis wieder ein so beherzter Mann in dem Hause Obernachte, und ein Lärm entstand, daß es die Korbflechterfamilie nicht mehr aushielt und noch in der Nacht das Haus verließ. —

„Wenn ar dort nit gredt hett, war i jetz nit Schirmfiicker",

setzte traurig der Erzähler, ein Enkel dieses Welser, hinzu.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 88, S. 69f