433. Die Bütze in den Ipslöchern

In der Gemeinde Lech liegen nördlich von der Pfarrkirche am linken Ufer des Lechflusses die zerstreuten Häuser der Parzelle Berg mit Burg. Ober dieser Ortschaft ist die Berger Alpe, wo die sogenannten Ipslöcher liegen; das sind von der Natur gebildete, sehr große Kessel, in denen früher etwas Gips gegraben wurde.

Vor vielen Jahren hütete Christian Jochum, vulgo Weibel, auf dieser Alpe. Da sah er einmal am hellen Tage, wie zwei sonderbare Wesen aus einem großen Ipsloch herauskamen. Sie glichen halbwüchsigen Burschen und trugen lange, weiße Gewänder, gerade wie die Alben, welche die Priester in der Kirche tragen. Die eine Gestalt stieg rechts, die andere links an den hohen Wänden der Mulde empor. Oben blieben die Wesen ruhig stehen und Jochum konnte sie aus einer Entfernung von 300 Schritten sehen. Das kam dem Hirten sonderbar vor und er begann zu jauchzen. Plötzlich stießen auch die beiden Weißgekleideten einen eigentümlichen Jauchzer aus und wechselten ihre Plätze. Das ging aber flink wie der Wind und die Füße berührten kaum den Boden; für einen Menschen wäre das einfach unmöglich. Gewiß wäre da der Aßmann, der vor fünfzig Jahren lebte, bei keiner Nähe mitgekommen. Und dabei sei dieser Aßmann als Bursche kerzengrad über das Schneckenrain bei der Parzelle Tannberg hinaufgesprungen, wenn ihn die Nachtbuben heimtreiben wollten; am Schneckenrain muß aber der Mäher stets Steigeisen tragen.

Noch eine Weile standen die Geister auf ihren neuen Plätzen, stiegen dann auf den Grund des Kessels herab und verschwanden.

Jochum erzählte dies einem alten Hirten auf der Nachbaralpe und dieser behauptete, er habe schon öfters von den Ipslöchern herüber ein sonderbares Jauchzen gehört. Eines Abends habe er geantwortet und augenblicklich habe es in nächster Nähe von ihm ganz unheimlich gejauchzt. Erschrocken sei er dann in seine Hütte zurück.

Die ganz alte Straße soll von Mittelberg über das Gentschel nach Hochkrumbach, über die Geißbühel und das Schloß an den Ipslöchern, über den Tambertberg und über Zug ins Walsertal und von dort nach Feldkirch gegangen sein. Die Leute auf genanntem Schloß haben früher oft eine wunderschöne Musik vorbeiziehen gehört.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 433, S. 242f