582. Die Hausiererin

Vorgestern kam eine Bekannte vom obern Stock und sagte: Jetzt muß ich Ihnen etwas Neues erzählen. Ich war bei der Frau unten; die hat zwei Kühe. Eine Hausiererin kam und woIlte den Korb auspacken. Die Hausfrau sagte zur Hausiererin: „Packen Sie nicht aus, ich brauch nichts, ich muß gehen." Da die aber doch auspacken woIlte, nahm ihr die Frau den Korb und steIlte ihn vor die Türe hinaus. Die Hausiererin hat sie beschimpft und ist gegen sie los. Da sprangen die Töchter zur Hilfe herbei. Alle drei hatten zu tun, das Weib hinaus zu bringen. Wie die Mutter in der Frühe in den StaIl kam, hatten die Kühe das Futter, das sie ihnen am Abend vorher gegeben hatte, nicht gefressen. Es ging ihr gleich ein Licht auf und sie sagte: „Der will ich es schon machen." Die Hausiererin hatte nämlich dem Vieh etwas Böses angetan. Sie holte Dreikönigswasser, machte jeder Kuh dreimal das Kreuz über Brust, Kopf und Rücken, und sofort fingen die Kühe an zu fressen. Da habe Frau Schlachter gesagt: „Heute Abend mache ich mit Kreide ein Nünemol (Neunemal, Mühle) an die Stalltüre, dann muß sie die ganze Nacht nünemola, bis ich zum Auslöschen komme."

Noch etwas Selbsterlebtes vom Weihwasser. Frau W. ihren Jüngsten, den Beda, hatte ich zwei Sommer in Verpflegung. Er schlief neben mir. Der Bub war sehr unruhig in seinem Bett, hat mit den Händen gehauen, gestoßen und am ganzen Leib geschwitzt. Die ersten paar Male habe ich mich nur lustig über ihn gemacht. Wie ich dann auch schlafen woIlte, wurde ich ernst, weckte ihn und sagte: „Beda, was hast, was wiIlst? Tut dir etwas weh? Sei ruhig!" „Nein", sagte er, „ich will nichts und es tut mir nichts weh." Wie ich wieder im besten Einschlafen bin, hat er wieder fürchterlich getan. Da bin ich zornig geworden und habe fest auf ihn eingeschlagen. Wie ich wieder im Einschlafen war, fing er noch einmal an, so daß ich erschrak und dachte, jetzt muß ich das Licht brennen lassen und aufbleiben, es ist etwas Unnatürliches. Ich machte Licht und weckte ihn. Ich dachte, was soIll ich tun? Ich nahm den Weihbrunnkessel herunter, machte ihm dreimal damit das Kreuz und hängte ihm einen geweihten Rosenkranz um den Hals. Der Bub hat sich bis am Morgen nicht mehr gerührt.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 582, S. 305