312. Fahrende Schüler in Brand

I. Wein aus dem Balken

Auch unser Land durchzogen fahrende Schüler. Sie zeigten sogar in dem früher recht unwirtlichen Brand und in seinen Alpen ihre Zauberkünste. Vor vierzig Jahren habe ich einen achtzigjährigen Mann davon erzählen gehört und der hatte es von seinem Ahne. Er berichtete, ein junger Mann sei in die Alpe Sonnenlagant gekommen und habe den Hirten und Senninnen allerhand Kurzweil bereitet. Bei der Kilbe habe er am flottesten getanzt, und damit alle recht lustig würden, habe er den Leuten Wein herbeigezaubert. Er habe mit einem Nagler den Balken einer Sennhütte angebohrt und als er das Werkzeug herausgezogen, sei ein Brünnlein Weines geronnen und manche hätten zum erstenmale solch ein feuriges Tränklein über die Lippen gebracht, denn Wein sei damals dort kaum bekannt gewesen.

II. Der Drachentöter

Aber viel früher einmal ist ein Fahrender nach Brand gekommen, der konnte weit mehr und hat seine Macht furchtbar an den Tag gelegt. Ober dem Gasthof, der schon lange der Familie Kegele gehört, heißt man es im Grossen, da war in alter Zeit ein gräuselicher Drache. Der richtete großes Unheil an unter Mensch und Vieh. Die Alpen Palüd und Barfienz waren seinetwegen unsicher und wenig wert. Oft stieg er zu Tal und schädigte die Bauern, die sich in der Ebene um das kleine gotische Kirchlein anzusiedeln begannen. Alles wurde versucht, dem Untier abzukommen. Auch die vom Lande herein wußten weder Rat noch Hilfe. Endlich kam ein Fahrender. Er versprach Hilfe, aber die sei ebenso gräßlich als gründlich. Dennoch verlangten sie die Leute. „Wollt ihr, daß ich den Drachen durch Feuer oder Wasser töte?" da kratzten die Bauern sich hinter den Ohren und hielten Rat. Die Macht der Wildbäche und Rufen kannten sie, aber das Feuer mochte noch fürchterlicher sein. Daher entschieden sie sich für das ihnen bekannte Übel, aber was eintrat, das hatten sie doch nicht geahnt. An einem Abend kam das Unglück: ein Blitzen, daß das Tal fast nicht mehr dunkel wurde, ein Donnern und Tosen, wie wenn das Gewölbe des Himmels zusammenfiele, ein Gießen und Schütten, als ob das Wasser aus Eimern geworfen würde. Am ärgsten kam's vom Grassen her, so daß unten die Anwohner aufgeschreckt wurden und auf die andere Talseite flüchteten. Und sie taten recht. Gegen Mitternacht wurde das Rauschen und Rollen noch ärger und man sah im Schein der Blitze, wie sich drüben in der Höhe, wo der Drache hauste, der Wiesenhang aus dem angrenzenden Waldsaum löste, Wasen und Wasser, Bäume und Steine wirbelnd sich herabwälzten und mitten drin, sich ringelnd und fauchend der schreckliche Wurm. Da auf einmal ein grelles Aufblitzen, ein schränzender Schlag m diesen Morast hinein und dann tiefschwarze Nacht. Man hörte das Donnern kaum noch, desto lauter aber das Heranpoltern der Rufe, die einen stiebenden Erddampf vor sich her trieb. Je näher, um so breiter und langsamer kam sie, bis sie zum Bache herabbrach und das Bett auffüllte und an das Ufer schlug, über dem die Flüchtlinge gekauert harrten.

Bis in den Tag hinein blieb es stockfinstere Nacht, und als es hellte, war der Jammer noch größer ob des schrecklichen Anblickes. Im ganzen Tal, soweit man sehen konnte, hatte das Wetter arg gehaust, am meisten aber am gefürchteten Berg. Wo früher ein Bergweg gewesen, sah man eine Mulde mit neugeschlagenem Tobel und drunter herab alles überwüstet bis zum Bach, vom Mühlbächlein herein bis zur Kirche, die war mit Geröll ganz umschlossen und weiter gegen die Tschapina lag Stein auf Stein. „Das ist das Drachengrab", sprachen die Männer ernst zu Weib und Kind. Der fahrende Schüler aber war verschwunden.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 312, S. 178ff