329. Schwester Cäcilia

Am 11. September 1676 starb im Kloster St. Peter zu Bludenz die Chorfrau Cäcilia Gärtner aus Einsiedeln.

Bald nach ihrem Tode ließ sich die Schwester Cäcilia in der Kirche und an anderen Orten täglich hören und sehen, namentlich bei der Orgel und den Gesangsbüchern. Am 29. April 1677 morgens drei Uhr erblickte die Schwester Maria Dominika Stein, Edle v. Rönsberg aus Feldkirch, als Mettenläuterin diese Seele im Chor, an ihrem gewöhnlichen Orte sitzend und als jene sich darüber höchlich entsetzte, verschwand sie wieder. Dominika meldete das Geschehene der Priorin und diese befahl ihr nach reiflicher Beratung mit dem Beichtvater und Convente, falls sich die Seele noch einmal zeige, sie zu fragen, was ihr fehle. Am 1.Mai um drei Uhr morgens ging Dominika, ein großes brennendes Licht in der Hand, in die Kirche und als sie unter die Türe des Chores kam, gewahrte sie die Verstorbene im ganzen Habit, wie sie in das Grab gelegt wurde, bei der Orgel am Boden sitzen und unten an der Orgel stand ein Türlein offen, als wenn sie singen wollte. Darob entsetzte sich Dominika und strebte nach ihrer Zelle. Als sie dahin kam, saß die Seele auf dem Tritt, das Angesicht auf die Hand lehnend; den schwarzen Mantel hatte sie nicht mehr an. Nun stand die Erschrockene, zitternd vor Furcht, im Zweifel, ob sie vor- oder rückwärts gehen solle und unversehens erlosch ihr noch das große Licht. Nach einer Weile faßte sie ein Herz, ging gegen die Seele und sagte: „Alle guten Geister loben Gott den Herrn." Alsbald antwortete die Erscheinung, indem sie die Hände zusammenschlug. „Und ich auch, Gott sei Lob! Fürchtet Euch nicht, Schwester Dominika, es kann Euch nichts geschehen; Gott ist allmächtig, Ihr gehet in dem hl. Gehorsam." Auf die Frage der Schwester, was sie benötige, antwortete sie gar schnell und erbat sich außer drei hl. Messen vom Leiden Christi vom ganzen Convente gewisse Gebete, noch mehrere aber von der Schwester Dominika, die sich u.a. auch in den folgenden Nächten um zwölf Uhr „eine Disciplin von dreißig Streichen" geben und ihr das Verdienst des Mettenläutens schenken sollte; „läutet aber zur rechten Zeit", fügte sie hinzu, „nicht zu früh und nicht zu spät, für meine Versäumnisse, daß ich etlichemal nicht fleißig, sondern zu früh oder zu spät geläutet habe." Darauf schwiegen beide eine gute Weile, dann fragte die Seele: „Wird aber jetzt alles verrichtet werden?" Als dies die Schwester bejahte, sagte jene, indem sie wieder die Hände zusammenschlug: „So sei Gott in Ewigkeit gelobt! Ach, wie lang und mit großem Verlangen habe ich auf dieses gewartet! O meine Schwester Dominika, wie wunderbar und unergründlich sind die Urteile Gottes!"

Nach dem Gottesdienste, während dessen der Convent die Kommunion für die Verstorbene aufopferte, zeigte die Schwester der Priorin und dem Convente das Erlebnis an, und es wurde alles ordentlich verrichtet, wie es die Tote begehrt hatte. Während dieser Zeit war die Seele Tag und Nacht bei Dominika (ihr jedoch unsichtbar), so daß auch alle anderen Schwestern sie bemerkten und hörten, ja, sie legte sich zu ihr nächtens in's Bett. In der dritten Nacht, als jene zum drittenmale gesagt hatte, sie solle sie doch einmal im Frieden lassen, sie verrichte ihr doch alles Verlangte nach Möglichkeit, erwiderte sie: „Ich kann nicht, habet Geduld, es wird bald besser werden." In der vierten Nacht nahm sie die auf der Decke ruhende Hand der Schwester in ihre eiskalte und drückte sie stark, sprach aber nichts. Am 6. Mai in der letzten Nacht ließ sich die Seele bis 2 Uhr nicht merken, doch konnte die Schwester nicht schlafen. Zur erwähnten Stunde öffnete jene die Zellentüre, kam hinein und stand ganz schneeweiß in langer Gestalt vor dem Bette. Dominika fragte sofort, ob sie nichts mehr vonnöten habe, worauf sie erwiderte: „Betet mir noch 50 De profundis!" und alsbald verschwand. Eiligst stand die Schwester auf und betete das Verlangte. Als sie nun in die Kirche gehen wollte, stand die Seele mitten in der Zelle und wurde wieder befragt, ob ihr noch etwas mangle. Sie verneinte und sagte: „Gott sei in Ewigkeit gelobt, jetzt bin ich ein Kind der ewigen Freude!" Dann streckte sie die Arme aus, als ob sie die Schwester umfangen wollte und dankte für das Verrichtete, indem sie zugleich gelobte, für sie stets zu bitten; auch ersuchte sie, ihren Dank der Mutter Priorin, allen Mitschwestern und denen auszusprechen, die zu dem guten Werke geraten und geholfen hätten. Auf die Frage Dominikas, wie sie die große Gnade erlangt habe, hier Hilfe begehren zu können, antwortete sie, dies sei durch die Bitte der Mutter Gottes und des hl. Vaters Dominikus geschehen, und empfahl besonders die Verehrung Mariens. Als sich die Schwester erkundigte, warum sie solange habe leiden müssen, da sie doch während des Lebens so viele gute Werke vollbracht, erwiderte Cäcilia, es sei ihr nicht die Hälfte zugute gekommen, weil sie öfters ihrem Eigenwillen wider den schuldigen Gehorsam gefolgt habe; auch habe sie den Schlaf unordentlicherweise gebrochen und dadurch ihre Gesundheit geschwächt, so daß sie zur Verrichtung der Arbeiten untauglich gewesen und andere diese für sie hätten leisten müssen; zwei andere Gründe dürfe sie nicht offenbaren. Nun lud die Tote die Schwester Dominika ein, mit ihr zu gehen, sie müsse ihr etwas zeigen. Diese entsetzte sich darüber und sagte, sie wolle ihr alles Mögliche tun, doch ihrer Gesundheit ohne Schaden. Darauf sagte die Seele: „Kommt, seid mir an meiner Seligkeit nicht hinderlich! Es soll Euch nichts geschehen; Ihr hättet es um mich nicht verdient." Das waren ihre letzten Worte. Sie ging gegen die Türe der Zelle und wartete, bis die Schwester sie öffnete; dann trat sie hinaus, und eilte voran, stets ihr zur Rechten, aber so rasch, daß Dominika meinte, ihr nicht folgen zu können. Als sie zur unteren Kirchentüre kamen, stand die Seele abermals still bis zu deren Eröffnung durch die Schwester. Als nun „diese selige Seele" in die Kirche getreten war, entstand ein solcher Glanz, daß Dominika die Sonne niemals so hell und klar scheinen gesehen und es ihr die Augen „übertrieb". Die Seele stand nun bei der untersten Staffel des Hochaltares, von unaussprechlichem Glänze umgeben und so mit Gold und Edelsteinen geschmückt, daß die Schwester sie nicht mit starrem Auge ansehen konnte; dann fuhr jene in die Höhe und verschwand, und die Kirche wurde in einem Augenblick ganz finster, außer daß das ewige Licht brannte. Dominika kehrte, vor Freude gleichsam außer sich, in die Schlafkammer zurück.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 329, S. 189ff