Das Totenbrauchtum

Die volkskundliche Literatur von Vorarlberg kennt leider keine Gesamtdarstellung des Totenbrauches. Es wird daher im folgenden das Brauchtum in Österreich beschrieben und — wenn möglich — auf Vorarlberger bzw. Rankweiler Besonderheiten Bezug genommen.

Nach dem Eintreten des Todes

Ist das Leben zu Ende gegangen, so werden Augen und Mund des Verstorbenen geschlossen. Es ist die besondere Pflicht eines der nächsten Angehörigen, eigentlich ein letzter Liebesdienst, der vom Ehemann der Ehefrau und umgekehrt, und von den Eltern dem Kinde erwiesen wird. Wenn auch heute gern die Pietät gegenüber dem Abgeschiedenen als Ursache für diese Handlung angegeben wird, so handelte es sich ursprünglich doch um die Grundanschauung vom „Lebenden Leichnam“, der das ganze Sterbebrauchtum beherrscht, um die Angst vor dem Toten als gefährlicher Wiedergänger und Nachzehrer. Die Pietät besteht darin, daß man den Toten nicht mit den entstellenden Kennzeichen des gebrochenen Blickes und des geöffneten Mundes liegen läßt, sondern ihm das Aussehen eines Ruhenden verleiht.

In einigen alten Häusern des Großen Walsertales aus der Zeit vor 1700 befinden sich sogenannte „Seelalöcher“. Im Wallis sind sie als „Seelapalgga“ oder „Glotz“ bekannt und weit verbreitet. Diese unscheinbare Öffnung in der Außenwand der Stube oder Nebenkammer wurde beim Sterben bzw. kurz nach dem Tod eines Angehörigen, geöffnet, damit seine Seele den Weg in die Ewigkeit finde. Danach wurde sie aber sofort wieder geschlossen, um zu verhindern, daß böse Geister in das Haus eindringen. Die Größe der Löcher schwankt zwischen 10 x 10 cm bis 30 x 40 cm. Meist verschloß innen ein Holzschieberchen oder eine kleine Tür die Wandöffnung. Etwa ab 1700 wurde der Einbau vom Seelenloch nicht mehr weiter verfolgt, da er wahrscheinlich von der Obrigkeit als unchristlich abgetan wurde.

In einem Haus in St. Gerold hat sich in einem Seelenloch, in einer Balkenritze ein Zettel gefunden. Entziffert wurde darauf ein Bannspruch, der allen bösen Geistern das Eindringen in's Haus verbietet.

Die Todesmitteilungen

Eine Form der Todesmitteilung ist das Läuten einer Glocke, das Sterbegeläute oder Scheidungsläuten. Paul Sartori gibt für das Läuten nach dem Tode folgende Elemente als wesentlich an: „Es soll der Gemeinde den Todesfall bekanntgeben und die Ortsgenossen zum Gebet für den Heimgegangenen auffordern. Es ist ferner eine Ehrung, auf die ein guter Christ Anspruch hat. Es soll aber auch die Kraft haben, (...) Schutz gegen den Teufel und die Dämonen zu bieten. Und diese Absicht wird wohl eine der letzten und ursprünglichsten sein. .. Gefahr kann aber auch vom Toten selbst ausgehen, und so dient das Geläute nach Meinung der Überlebenden auch dazu, die Seele aus ihrem Bereiche zu entfernen und in den Himmel hinüberzugeleiten.“ In der Rankweiler Läute-Ordnung, die bis zur Ablieferung der Glocken im September 1916 gültig war, heißt es, daß das Scheidungsläuten für verstorbene Seelsorger der Gemeinde, wie auch für Päpste, Kaiser und Bischöfe mit der Rochusglocke oder auch mit dem ganzen Geläute gegeben wurde. Als Sterbeglocke diente und dient noch die Zehnuhrglocke, und zwar wurde für Verstorbene aus Rankweil mit sieben Absätzen, für Verstorbene aus Brederis und Zwischenwasser mit sieben Absätzen und danach noch drei Schlägen geläutet. Heute wird der Tod eines Mannes mit fünfmaligem Läuten in Abständen von je einem Vaterunser verkündet, der Tod einer Frau mit viermaligem Läuten.

Eine zweite Form der Todesmitteilung ist das Ansagen des Todes gegenüber Tieren, Bäumen und leblosen Gegenständen. Dahinter steht der Glaube, daß mit dem Eintritt des Todes der Sterbende in einen unheimlichen Zustand tritt, der den Hinterbliebenen und all ihrem Besitz gefährlich werden kann. Deshalb muß man alle und alles sofort vor dem Verstorbenen warnen, und diese Warnung ist das Ansagen. Das kann nur durch das Öffnen der Stalltür geschehen oder durch das Klopfen an die Stalltür oder man sagt: „Der Bauer ist gestorben“. Damit verbunden ist auch das Umbinden des Viehs im Stall und das Verrücken der Bienenstöcke.

Das Versorgen der Leiche

Zur Versorgung der Leiche gehört in erster Linie das Wachen. Die Leichenwaschung ist schon für die Griechen und Römer, aber auch für Deutschland im Mittelalter bezeugt. Heute sieht man darin vor allem auch einen Akt der Pietät. Wenn die Leiche auf der Bahre einen friedvollen Eindruck machen soll, dann müssen die Spuren des Todeskampfes (Todesschweiß) oder der letzten Krankheit beseitigt werden. Früher wurde das Waschen auch damit begründet, „anzuzeigen, daß nichts unreines in den Himmel werde eingehen.“ Das Waschen nehmen die Angehörigen selbst vor oder eine im Dorf dafür eigens bestimmte Person.

Eine nicht minder wichtige Sorge ist die richtige Einkleidung des Verstorbenen. Heute und in der jüngeren Vergangenheit werden ihm meist die besten Kleider angezogen, also Sonntagsanzug bzw. -kleid oder auch das Hochzeitskleid.

In früherer Zeit waren es weiße Sterbehemden, „zum Zeichen, daß wir mit dem Kleid der Unschuld, so wir in dem Heil. Taufe empfangen, vor dem Richtstuhl Gottes erscheinen sollen, auch nach dem Beyspiel Christi, der in weiße Leinwat ist eingewickelt worden.“ Auf jeden Fall durfte das Totenkleid keine metallenen Knöpfe haben. Auch Schmuck wird meist abgenommen, in der Meinung, es dürfe nichts Unverwesliches ins Grab mitgegeben werden.

Im Ersten Weltkrieg sollte für breite Kreise der Bevölkerung üblich werden, was für ärmere Leute und mittellos Verstorbene schon seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts galt: in Sterbewäsche aus billigstem Material wie Papier oder Papierbeschichteten Geweben aufgebahrt und beigesetzt zu werden. Das Totenhemd ist kein Hemd im üblichen Sinn, sondern ein Spezialkleid, das sich von einem Hemd durch zwei Merkmale unterscheidet: es ist hinten offen, und es hat eine Länge von mindestens 160 cm, denn die Füße des Toten sollten bedeckt sein. Ausgeführt waren diese Papierhemden allerdings oft recht aufwendig: mit Rüschen und Schleifen, Falten, Plissierungen, Stickerei und Borten. Totenkleidung aus Papier wurde aber von der Bevölkerung nie in dem Maße akzeptiert, wie es die wirtschaftliche Notlage des Krieges erfordert hätte.

Eine Sonderstellung bei der Bekleidung nahmen verstorbene Wöchnerinnen ein, denen man im Montafon Schuhe anzog, sowie kurz vor der Hochzeit verstorbene Mädchen. Diese Mädchen bekränzte man wie eine Braut, sodaß ihnen dieser Lebenshöhepunkt wenigstens noch symbolisch zuteil wurde. Der Jungfernkranz wurde oft aus Rosmarinzweigen gewunden, und wenn der Jungfernkranz zur Totenkrone wurde, dann war der hochzeitliche Rosmarin zugleich auch Trauerpflanze.

Die Aufbahrung

Die Aufbahrung des Toten erfolgt heute größtenteils vom ersten Tag an im Sarg, während vor noch nicht allzu langer Zeit in Vorarlberg auf dem Sterbelager aufgebettet wurde. In Niederösterreich etwa kam das Sterbebett auf keinen Fall in Frage, hier wurde stets ein Brett, der sogenannte (Bahr-)Laden verwendet, der auf zwei Tische, Sessel oder Zimmerstöcke aufgelegt wurde. Während der Aufbahrung erfolgte in einem Nebenzimmer das „Leichbeten“: die an der Aufbahrung nicht beteiligten Nachbarn und Verwandten beteten Litaneien und Rosenkränze.

Die Totenwache

Aus einzelnen Beschreibungen, die allerdings nur verschiedene begrenzte Gebiete Vorarlbergs betreffen, läßt sich rekonstruieren, wie der Brauch der heute wohl kaum noch üblichen Totenwache gehandhabt wurde.

Eine kleine Anzahl von etwa acht bis zwölf Personen, mit Vorliebe jüngere Leute, aus dem Verwandten- und Nachbarkreis, wurden von der trauernden Familie zur Totenwache aufgefordert. Die Totenwache begann erst nach dem „Leichbeten“ bei dem Aufgebahrten im Trauerhaus, bei der oft eine große Anzahl von Personen anwesend war. Nach alter Ordnung sollte jede Familie der Nachbarschaft wenigstens mit einer Person beim „Leichbeten“ vertreten sein. In der Dornbirner Chronik wird dazu noch berichtet: „In früheren Jahren war es Sitte, oder besser gesagt Unsitte, daß die Kinder den ganzen Tag oder beide Tage in das Trauerhaus kamen, dort bei der Leiche ein Gebet verrichteten und und beim Gehen beschenkt wurden 1 kr. 1 Groschen oder Sechser. So kamen hunderte Kinder zur Belästigung, deshalb wurde es verboten.“ Erst wenn die letzten nach dem gemeinsamen Rosenkranz dem Toten das Weihwasser gegeben und dem Hinterbliebenen noch einmal ihr Beileid bekundet hatten, erst dann setzte die Totenwache ein. Diese dauerte in der Regel bis Mitternacht, häufiger noch bis nach dem zweiten Rosenkranz, dem sogenannten „Wachpsalter“, also bis etwa ein Uhr morgens, manchmal konnte es auch noch später werden. Die Stunden der Totenwache wurden mit Gebet, gedämpfter Unterhaltung und einer kleinen Mahlzeit ausgefüllt. Gebetet wurde zuerst ein Psalter, dann der „Nacht-„ oder „Wachpsalter“, oft sogar noch ein dritter. Mit dem langsamen Aufhören des Brauches verkürzten sich auch die Gebete auf drei, oder gar nur zwei Rosenkränze. Die übrige Zeit des nächtlichen Wachens wurde bei Gespräch und gemeinsamem Essen und Trinken zugebracht. Die Unterhaltung galt zwar in erster Linie dem Andenken des Toten, aber unter dem Einfluß des genossenen Alkohols konnte die Stimmung auch ausgelassener werden. So soll man sich auch - ab und zu - durch Kartenspielen und Tanzen die Zeit verkürzt haben. Für das leibliche Wohl wurde mit Kaffee, Wein und Most sowie Weißbrot und Käse gesorgt. Die Nacht der Totenwache wurde deshalb auch als „Käsnacht“ bezeichnet. Beendet wurde dieser Imbiß mit Branntwein.

Der gesellige und eben oft auch recht ausgelassene Charakter dieser Totenwachen störte selbstverständlich die stille Trauer, und so erging bereits am 25. September 1825 im Einverständnis mit dem Generalvikariat Feldkirch von den k.k.Landgerichten in Vorarlberg eine Verordnung, wonach wegen Mißbrauches und etwaiger Ansteckungsgefahr das Beten am Abend im Sterbehaus abgeschafft und in die Kirche oder in eine nahe Kapelle verlegt werden sollte, und nur die Familie durfte noch daheim bei der Leiche beten. Zur Nachtwache waren höchstens drei bis vier Personen zugelassen. Dieser Verordnung gelang es aber noch nicht, den Brauch der Totenwache ein Ende zu setzen. Auch in Dornbirn wollte man diesem Treiben Einhalt gebieten: „Dabei wird gesprochen, Geschichten erzählt und noch verschiedener Unfug, unpassender, getrieben, weil es oft einzelne gibt, die diese Sach nur wegen essen und trinken mitmachen. Pfarrer Schreinberger hatte wollen dieses abschaffen u. dafür am Nachmittag in der Kirche einen Psalter zu betten anbefohlen. Dieses geschah, aber das Nachbetten wurde zudem noch betrieben bis zirka 1900. In den Bergen wie im Thal nur noch vereinzelt. Jetzt wird meistens abends in der Kirche ein Psalter u. neuestens nur ein Rosenkranz gebetet.“

Nach dem Fortgang der Teilnehmer von der nächtlichen Totenwache brennt in den späten Nacht- und frühen Morgenstunden dann nur noch das „Seelenlichtlein“, ein kleines Öllicht, bei dem Toten. Solche Lichter wurden allgemein im Sterbezimmer angezündet, also auch dort, wo eine Totenwache nicht gebräuchlich war. Gewöhnlich wurde die Totenwache noch eine zweite Nacht gehalten, bis zum Tag der Beerdigung.

Das Totenwachtbrauchtum, so wie es in Vorarlberg üblich war, gliedert sich somit in zwei Schichten: Das an feste Nachtzeiten gebundene Beten im Sterbehaus dürfte der Frömmigkeitshaltung des 16./17. Jahrhunderts entsprechen, während in der kleinen nächtlichen Totenmahlzeit und in einer gewissen Ausgelassenheit bei Spiel und Tanz ältere Brauchelemente weiterleben.

Das Ende dieses Brauches war mit dem Augenblick gekommen, als die Hausaufbahrung wegfiel und die Überführung und Aufbahrung des Toten in einer Toten- oder Friedhofs-Kapelle oder in einer Leichenhalle der Gemeinde erfolgte. Damit war den nächtlichen Zusammenkünften nachbarlicher Gruppen der Boden entzogen und die Tradition der Totenwache im herkömmlichen Sinn brach ab.

Das Einsargen

In der Zeit, als noch auf dem Sterbelager aufgebahrt wurde, erfolgte am Vorabend oder am Morgen des Begräbnistages das Einsargen. Der Totensarg, wie man ihn heute kennt, setzte sich erst um 1700 durch, in der Schweiz trug man die Leiche sogar noch um die Wende vom 18. zum 19. Jh. auf dem Bahrbrett zu Grabe. Im 18. Jh., als es immer wieder zu sehr aufwendigen Leichenbegängnissen kam, wurden vielerorts sogar Eichenholzsärge verboten und Anordnungen erlassen, wieviel ein Sarg höchstens kosten durfte. Verwendete man früher meist schwarze Särge, so werden diese heute oft von naturfarbenen, silbernen oder braunen verdrängt.

Die Dornbirner Chronik erzählt darüber: „Urschprünglich waren die Särge noch ohne Anstrich, dann schwarz matt angestrichen mit einem weißen Kreuz u. jetzt in allen Farben und Glanz, reich verziert mit Gold u. Silber. Diese Neuerung ist kostbillig u. unpassend. Ein einfacher schwarzer Sarg mit einem weißen Kreuz ist u. eignet sich zu diesem Zwecke am besten u. billigsten.“

In unserer Gegend wurde der Sarg meist als „Totenbaum“, aber auch als „Baum“ oder „Totenbahre“ bezeichnet.

Auch dem Umstand, daß Särge aus Holz gefertigt werden, legte man früher eine Bedeutung bei: „Wird der Todte in einen hölzernen Sarg gelegt, zu bedeuten, daß wie ein dürres Holz wieder grünet, also dieser Todte wieder einsmals zum Leben auferstehen werde.“

Quelle: Sterben und Tod inKkult und Brauchtum, Reihe Rankweil, Gabriele Tschallener, Rankweil 1992, S. 42ff